Kardioforum

Page 1

KARDIOFORUM 1 10

Aus der Klinik für die Praxis

3. Jahrgang

Schwerpunkt Das akute Koronarsyndrom

Antikoagulation beim akuten Koronarsyndrom Die Kardiologie am Städtischen Klinikum Brandenburg Burn-out und Suchterkrankungen bei Ärzten

MEDITEXT DR. ANTONIC www.kardioforum.com Herausgeber: Prof. Dr. Michael Block Klinik Augustinum München Prof. Dr. Johannes Brachmann Klinikum Coburg Prof. Dr. Thomas Budde Alfried Krupp Krankenhaus, Essen Prof. Dr. Harald Darius Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin Prof. Dr. Bernd-Dieter Gonska St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe Prof. Dr. Dietrich Gulba Krankenhaus Düren Prof. Dr. Dieter Horstkotte Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen Prof. Dr. Matthias Leschke Klinikum Esslingen a. N. Prof. Dr. Wolfgang Motz Klinikum Karlsburg, Herz- und Diabeteszentrum Mecklenburg-Vorpommern Prof. Dr. Michael Oeff Städt. Klinikum Brandenburg, Brandenburg Prof. Dr. Ernst Vester Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf


Thrombozyten-Aggregationshemmer der nächsten Generation

LLY DEEFF00218

STARKER SCHUTZ FÜR ACS-PCI-PATIENTEN

Efient® 10 mg Filmtabletten. Efient® 5 mg Filmtabletten. Wirkstoff: Prasugrel. Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 10 mg bzw. 5 mg Prasugrel (als Hydrochlorid). Sonstige Bestandteile: mikrokristalline Cellulose, Mannitol (E421), Croscarmellose-Natrium, Hypromellose (E464), Magnesiumstearat, Lactose-Monohydrat, Titaniumdioxid (E171), Triacetin (E1518), Eisen (III)-oxid (E172) {nur 10 mg Tabletten}, Eisen (III)-hydroxid-oxid x H2O (E172), Talkum. Anwendungsgebiete: Efient ist in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) angezeigt zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (d. h. instabiler Angina pectoris, Nicht- ST- (Strecken- ) Hebungsinfarkt [UA/NSTEMI] oder ST(Strecken- ) Hebungsinfarkt [STEMI]) mit primärer oder verzögerter perkutaner Koronarintervention (PCI). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Aktive pathologische Blutung. Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke (TIA) in der Anamnese. Schwere Leberfunktionsstörung (Child Pugh Class C).

Nebenwirkungen: Häufig: Anämie, Hämatom, Epistaxis, Gastrointestinale Blutung, Hautausschlag, Ekchymose, Hämaturie, Hämatom an der Punktionsstelle, Blutung an der Punktionsstelle, Prellung. Gelegentlich: Augenblutung, Bluthusten, retroperitoneale Hämorrhagie, rektale Hämorrhagie, Blutstuhl, Zahnfleischbluten, Blutung nach Eingriff, Schlaganfall. Selten: subkutane Hämatome. Warnhinweise: Enthält Lactose. Patienten mit der seltenen hereditären Galactose-Intoleranz, Lapp-Lactase-Mangel oder Glucose-Galactose-Malabsorption sollten Efient nicht einnehmen. Weitere Warnhinweise s. Fachinformation. Verschreibungspflichtig. Pharm. Unternehmer: Eli Lilly Nederland B.V., Grootslag 1-5, 3991 RA, Houten, Niederlande Vertrieb: Lilly Deutschland GmbH, Werner-Reimers-Straße 2-4, 61352 Bad Homburg, Deutschland und DAIICHI SANKYO Deutschland GmbH, Zielstattstraße 48, 81379 München Stand der Information: März 2009

www.efient.de


Editorial Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, in dieser Ausgabe bieten wir Ihnen eine Reihe hochinteressanter Beiträge zum Schwerpunktthema „akutes Koronarsyndrom“ an. Einen Beitrag möchte ich kurz herausgreifen: den Artikel aus der Kardiologischen Klinik des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalen über Sinn und Unsinn von Chest Pain Units. Die Autoren weisen einerseits darauf hin, dass die Versorgungsdichte bezüglich der Akut-PTCA in Deutschland weltweit unübertroffen sei. Dennoch ist die Sterblichkeitsrate höher als bei unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz. Die höhere Mortalitätsrate ist schlicht darauf zurückzuführen, dass die Rettungsdienste in den überwiegenden Fällen die Patienten kurzerhand in die nächstgelegene Werner Waldmann Chefredakteur Klinik bringen – auch wenn dort kein Herzkatheterlabor zur Verfügung steht. Häufig hört man von den Rettungskräften, sie müssten das nächstgelegene Krankenhaus anfahren. Das ist Unsinn! Eine solche Regelung gab es noch nie. Als potenzieller Patient steht man vor dieser fatalen Tatsache mit Erstaunen, ja mit Entsetzen. Noch entsetzter müsste man sein, wenn man – die explodierenden Gesundheitskosten und die immer mehr dahinschmelzenden finanziellen Ressourcen im Hinterkopf – an die Debatte zwischen Medizinern und Ökonomen über die Frage denkt, wie sich das Verhältnis zwischen ärztlichem Versorgungsauftrag und den betriebswirtschaftlichen Forderungen des Managements künftig weiterentwickeln wird. Bei solchen Diskussionen erkennt man schon an der Wahl der Termini, wohin die Entwicklung läuft. Statt vom Patientenwohl zu reden, von neuen Techniken, von Lebensqualität und Lebensverlängerung, bestimmen ganz andere Begriffe den Dialog der Beteiligten: Fallzahlen, Marktlücken und neue Tätigkeitsfelder, Erlösoptimierung und der Arzt verantwortet mittlerweile ein Profitcenter mit Kunden statt kranken Menschen. Und so sind unsere Ärzte gezwungen, ebenfalls zu Ökonomen zu werden. Zielvereinbarungen sitzen ihnen im Nacken; Fallzahlsteigerung ist oberstes Gesetz. Nein, das ist keine gute Entwicklung. Natürlich müssen auch die Mediziner effiziente Arbeit leisten. Und durch kluge Reorganisation lassen sich unnütze Ausgaben auch ganz gut vermeiden. Nur missfällt mir – aus der Perspektive des um sein Leben bangenden Patienten – die Tatsache, dass sich das Gleichgewicht immer mehr zugunsten der „Wirtschaftlichkeit“ verschiebt. Immer häufiger taucht ein dämonischer Begriff auf: Priorisierung. Rationierung in der medizinischen Versorgung gibt es auch heute schon. Nur läuft das in einer Grauzone ab, und man spricht nicht groß davon, ja man leugnet es. Um Rationierung zu legalisieren, bedarf es offizieller Leitlinien. Die sind dann aber nicht mehr dazu da, uns Patienten die bestmögliche wissenschaftlich nachgewiesene Therapie angedeihen zu lassen, sondern um schlicht und einfach Leistungen einzuschränken: Unter welchen Voraussetzungen bekomme ich noch einen ICD? Wann dürfen mir die Kardiologen eine neue Aortenklappe einsetzen? Bleibt zu hoffen, dass die Ärzte eisern bleiben und weiterhin die Gesundheit ihrer Patienten als oberstes Gebot ihres Handelns sehen. Retten wir Hippokrates. Retten wir eine Medizin der Menschlichkeit. Die Rettung des Finanzsystems, maroder Staaten und unserer wackeligen Währung kommt den Steuerzahler sehr viel teurer zu stehen als eine solidarische Finanzierung unserer Gesundheit. Ich grüße Sie sehr hezlich,

Werner Waldmann


Impressum

Chefredaktion: Werner Waldmann MA, Marion Zerbst

Herausgeber:

Redaktion: Dr. med. Mihovil Antonic, Dr. J. Roxanne Dossak,

Prof. Dr. Michael Block (Klinik Augustinum, München)

Anne Greveling, Dr. Werner Kafka, Andrew Leslie

Prof. Dr. Johannes Brachmann (Klinikum Coburg, Coburg)

Layout: Ursula Pieper

Prof. Dr. Thomas Budde (Alfried Krupp Krankenhaus, Essen)

Herstellung: Barbara Schüler

Prof. Dr. Harald Darius (Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin)

Verlagsleitung: Dr. Magda Antonic

Prof. Dr. Bernd-Dieter Gonska (St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe)

Fotos: Cover: Frank C. Müller/Wikipedia; S. 3: Städtisches Klinikum Brandenburg; S. 54/54:

Prof. Dr. Dietrich Gulba (Krankenhaus Düren)

Lienhard Schulz/Wikipedia; alle anderen Abbildungen: MEDITEXT DR. ANTONIC

Prof. Dr. Dieter Horstkotte (Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen) Prof. Dr. Matthias Leschke (Klinikum Esslingen, Esslingen a. N.) Prof. Dr. Wolfgang Motz (Klinikum Karlsburg, Herz- und Diabeteszentrum

Verlag: MEDITEXT DR. ANTONIC; Hagäckerstraße 4; D-73760 Ostfildern

Mecklenburg-Vorpommern)

E-Mail: dr.antonic@meditext-online.de

Prof. Dr. Michael Oeff (Städt. Klinikum Brandenburg, Brandenburg)

Tel.: 0711 7656494, Fax: 0711 7656590

Prof. Dr. Ernst Vester (Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf)

Druck: Kohlhammer Druckerei GmbH + Co., Stuttgart

2

Kardioforum 1 | 2010


Inhalt 4

Synkope, überlebtes Kammerflimmern und im Verlauf rezidivierende adäquate ICD-Schockabgaben als Manifestation eines Koronarspasmus

8

Bericht zum 21. Seminar Interventive Kardiovaskuläre Medizin in Bad Oeynhausen

10

Der aktuelle Herzbericht

13

Sinn und Unsinn von Chest Pain Units

16

Die interventionelle Versorgung des akuten Koronarsyndroms in Deutschland

20

Antikoagulation beim akuten Koronarsyndrom

27

Versorgung des akuten Koronarsyndroms und Erfahrungen aus dem Myokardinfarkt-Register Brandenburg

32

Versorgung von Patienten mit ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (STEMI) in Essen: Der Essener Herzinfarktverbund

38

Fraktionelle myokardiale Flussreserve zur online-Bestimmung der hämodynamischen Relevanz von Koronarstenosen: Klinische Anwendung im Herzkatheterlabor

46

Die EKG-Kolumne

48

Katheterablation bei Vorhofflimmern – die Therapie der Zukunft?

50

Die Kardiologie am Städtischen Klinikum Brandenburg

56

Burn-out und Suchterkrankungen: Ärzte haben ein besonders hohes Risiko

62

Somnologische Notizen

KARDIOFORUM erscheint viermal im Jahr. Das Magazin kann zum Preis von Euro 32,-

prüfen, um in eigener Verantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für

zzgl. Versandkosten pro Jahr (vier Ausgaben) im Abonnement bezogen werden.

Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in dieser

Das Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt.

Zeitschrift abweicht. Leser außerhalb der Bundesrepublik Deutschland müssen sich nach

Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung

den Vorschriften der für sie zuständigen Behörden richten. Jede Dosierung oder Applika-

von MediText strafbar. Die Redaktion behält sich die Bearbeitung von Beiträgen vor.

tion erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.

Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Abbildungen wird keine Haftung übernommen. Mit Namen gezeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers wieder.

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) müssen nicht besonders kenntlich gemacht

Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Esslingen a. N.

sein. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Wichtiger Hinweis: Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Soweit in dieser Zeitschrift eine Applikation oder Dosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor, Redaktion und Verlag größte Mühe darauf verwandt haben, dass diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entsprechen. Dennoch sollte jeder Benutzer die Beipackzettel der verwendeten Medikamente selbst

ISSN: 1866-1408

Kardioforum 1 | 2010

3


Synkope, überlebtes Kammerflimmern und im Verlauf rezidivierende adäquate ICD-Schockabgaben als Manifestation eines Koronarspasmus

C. Kopf, J. Brömsen, M. Block

ynkopen können reflexvermittelt, orthostatisch oder kardiovaskulär bedingt sein. Bei den reflexvermittelten und orthostatischen Synkopen gilt es im Wesentlichen, dem erhöhten Verletzungsrisiko und der Reduktion der Lebensqualität entgegenzuwirken. Dagegen tragen Patienten mit kardialen Synkopen ein deutlich erhöhtes Risiko für den plötzlichen Herztod.

S

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Michael Block Klinik Augustinum München Innere Medizin, Kardiologie Wolker Weg 16 81375 München Tel.: 089 7097-1154 Fax: 089 7097-1882 block@med.augustinum.de www.augustinum-kliniken.de

Kasuistik Ein 54-jähriger Mann synkopierte erstmalig beim NordicWalking ohne Prodromi. Im Anschluss war er umgehend wieder voll orientiert. Relevante Vorerkrankungen waren nicht bekannt. Die Abklärung in der aufnehmenden Klinik ergab unauffällige Befunde für Labor, EKG, Langzeit- und Belastungs-EKG sowie Echokardiographie. Eine Medikation bestand zum Zeitpunkt der Synkope nicht. Bei einem ausgeprägten kardiovaskulären Risikoprofil erfolgte zusätzlich eine Herzkatheteruntersu-

Abb. 1: RAO-Blick auf das linke Herzkranzgefäß mit Kaliberschwankung der proximalen LAD nach Synkope.

4

Kardioforum 1 | 2010

chung. Diese war bis auf eine geringgradige proximale LAD-Stenose unauffällig (Abb. 1). Der Patient wurde mit einer risikoadaptierten Medikation entlassen (ASS, Olmesartan, Bisoprolol, Simvastatin). Das Risiko der belastungsinduzierten Synkope blieb ungeklärt. Zwei Wochen später wurde der Mann beim Spaziergang reanimationspflichtig, es erfolgen mehrfache Defibrillationen bei rezidivierendem Kammerflimmern. Nach Stabilisierung fanden sich als einziger möglicher Hinweis auf eine Myokardischämie passagere T-Negativierungen in V2–V4. Die Extubation erfolgte am zweiten Tag, neurologisch war der Patient unauffällig. EKG und Echokardiographie blieben unauffällig. Eine erneute Koronarangiographie stellte die proximale LAD jetzt als hochgradig stenosiert dar (Abb. 2). Aufgrund eines Thrombusverdachts sollte die Intervention erst am Folgetag nach antithrombotischer Vorbehandlung und Clopidogrel-Loading-Dose erfolgen.

Abb. 2: LAO-Blick auf das linke Herzkranzgefäß mit signifikanter Stenose der proximalen LAD nach Reanimation.


Abb. 3: Spider-View auf das linke Herzkranzgefäß nach dualer Thrombozytenaggregationshemmung ohne Stenose der proximalen LAD.

Nachdem sich bei der Rekoronarangiographie aber weder ein Thrombus noch eine signifikante Stenose darstellen ließ, erfolgte keine Intervention (Abb. 3). Die passagere LAD-Stenose wurde als Plaqueruptur mit aufgelagertem Thrombus gewertet und es erfolgte die Empfehlung zur dauerhaften dualen Plättchenhemmung. Angesichts der erfolgten Reanimation bei Kammerflimmern wurde ein Cardioverter-Defibrillator (ICD) impantiert. Innerhalb eines Jahres kam es dann während sportlicher körperlicher Belastung rezidivierend zu Schockabgaben des ICDs. Ursache waren ventrikuläre Tachykardien, um 250/min schnell, zum Teil monomorph, zum Teil polymorph (Abb. 4). Der Patient enthielt sich daraufhin jeglicher stärkeren körperlichen Belastung und versuchte sich eine Zweitmeinung bezüglich seiner kardialen Probleme einzuholen. Bereits die erste Synkope hat aufgrund der Umstände (Auftreten während körperlicher Belastung, keine Prodromi, sofort wieder orientiert) deutlich für eine kardiale Genese gesprochen. Hämodynamische Ursachen, wie sie durch eine hochgradige Aortenklappenstenose oder eine hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie (HOCM) bedingt sein konnten, waren bereits durch die Echokardiographie ausgeschlossen worden. Allerdings wird manchmal bei schlechter Beschallbarkeit eine HOCM übersehen. Das Ruhe-EKG ergab keinen Hinweis auf ein Long-QTSyndrom. Besonders beim Long-QT1-

Syndrom werden die ventrikulären Torsades-de-pointes-Tachkardien häufige durch körperliche Belastungen getriggert. Das Belastungs-EKG ergab keine Hinweise auf das sehr seltene Krankheitsbild der katecholaminergen polymorphen Tachykardien, die durch körperliche Belastungen getriggert werden. Eine differenzierte Diagnostik (Isoproterenoltest, MRT, rechtsventrikuläres Angiogramm, ggf. Myokardbiopsie) bezüglich rechtsventrikulärer Ausflusstachykardien bzw. einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie (ARVC) erfolgte nicht. Idiopathische linksventrikuläre Tachykardien oder rechtsventrikuläre Tachykardien hätten auch durch eine programmierte Ventrikelstimulation ausgelöst werden können. Als seltene Ursache konnte die Koronarangiographie hochgradige Koronarstenosen und eine dadurch unter Belastung bedingte Ischämie mit Triggerung einer selbstterminierenden ventrikulären Tachykardie ausschließen, ebenso die äußerst seltene Ursache eines abnormen Koronarverlaufes zwischen Aorta ascendens und Pulmonalarterienstamm. Nach erfolgter Reanimation und dokumentiertem Kammerflimmern musste außerdem an ein Short-QT-Syndrom, das Early-Repolarization-Syndrom sowie das

Vtip/Vring (10 mV)

HVA/HVB (1 mV)

Marker-Annotationen v s

RR-Intervall (ms)

v s

4 5 0

v s

4 5 0

v s

4 6 0

v s

4 5 0

v s

4 5 0

4 5 0

v s

4 6 0

v s

4 5 0

v s

4 6 0

v s

3 0 0

v s

v s

3 0 0

T 3 0 0

s

T 2 8 0

s

T 2 7 0

s

T 2 7 0

s

T T T T T T T 2 F• 2 F• 2 F• 2 F• 2 F• 2 F• 2 F • 2 6 5 5 4 4 6 6 5 0 0 0 0 0 0 0 0

Gradueller Onset

v s 2 3 0

v s 2 5 0

v s 2 5 0

v s

v s 2 4 0

2 3 0

v s 2 5 0

v s 2 6 0

v s

v s 2 5 0

2 5 0

v s

v s 2 4 0

2 3 0

v s

Cv Es 2 2 0

2 5 0

v s

C D 2 4 0

5 6 0

v s 4 9 0

v s

v s 7 4 0

6 2 0

v s 4 5 0

v s 5 3 0

v s 4 7 0

4 7 0

20,2 J

Abb. 4: Aus einer Sinustachykardie mit Zykluslängen um 450 ms entsteht schlagartig eine monomorphe ventrikuläre Tachykardie mit einer Zykluslänge von ca. 250 ms, die durch einen 20-J-Schock kardiovertiert wird.

Kardioforum 1 | 2010

5


Abb. 5: RAO-Blick auf das linke Herzkranzgefäß nach rezidivierenden ICDSchocks und nicht signifikanter Stenose der proximalen LAD.

Abb. 6: RAO-Blick auf das linke Herzkranzgefäß nach rezidivierenden ICDSchocks und hochgradiger Stenose der proximalen LAD unter Hyperventilation.

Brugada-Syndrom gedacht werden. Diese wiederum manifestieren sich in der Regel nicht im Zusammenhang mit Sport. Zum sicheren Ausschluss müssen angesichts fluktuierender EKG-Befunde bei diesen Krankheitsbildern wenn möglich EKGs von mehreren Zeitpunkten gesichtet werden, und bezüglich des BrugadaSyndroms muss ein Provokationstest z. B. mit Ajmalin vorgenommen werden. Die nach der Reanimation gesehenen passageren T-Negativierungen in den Brustwandableitungen legten den Verdacht einer myokardialen Ischämie nahe und ergaben bei der Rekoronarangiographie einen Befund, der die Reanimation erklären konnte. Die Implantation des ICD rettete dem Patienten wahrscheinlich das Leben. Die Dokumentation des ICD zeigte dann, dass ventrikuläre Tachykardien sowohl monomorph als auch polymorph durch Belastungen rezidivierend über viele Monate ausgelöst wurden, was den Mechanismus eines rupturierten Plaques in Frage stellen musste. Da weder primäres Kammerflimmern noch Torsadesde-pointes-Tachykardien im ICD-Speicher auftraten, sprach wenig für ein Shortoder Long-QT-Syndorm, ein Brugada-Syndrom oder ein Early-RepolarizationSyndrom. Das Vorliegen von polymorphen neben monomorphen ventrikulären Tachykardien sprach gegen idiopathische rechtsund linksventrikuläre Tachykardien, ein klassisches Bild einer bidirektionalen VT

6

Kardioforum 1 | 2010

wie bei katecholaminerger VT lag auch nicht vor. Im Rahmen der erneuten Abklärung wurde die Diagnostik zunächst vervollständigt. Ausgeschlossen werden konnten die ARVC mittels rechtsventrikulärer Bildgebung, die hypertrophe Kardiomyopathie erneut mittels Echokardiographie, die katecholaminerge VT und rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardien mittels Ergometrie und Isoproterenol-Test, die QT-Syndrome mittels Durchsicht alter und aktueller EKGs und schließlich das Brugada-Syndrom mittels Ajmalin-Test. Danach blieb als wesentlicher pathologischer Befund lediglich die dokumentierte passagere LAD-Stenose. Nach Durchsicht der angeforderten Herzkatheterfilme erfolgte nach Zweifel an der Diagnose eines Thrombus im alten Koronarangiographiefilm die erneute Koronarangiographie. Die proximale LAD wies die bekannte geringgradige proximale Stenose auf (Abb. 5). Auf die Applikation von Nitro wurde bewusst verzichtet um eine Hyperventilation zur Diagnostik eines Koronarspasmus durchführen zu können. Die Hyperventilation löste eine hochgradige Engstellung der proximalen LAD im Sinne eines Koronarspasmus aus, der unter Nitrogabe sofort reversibel war (Abb. 6). Dieser Spasmus wird als sehr wahrscheinliche Ursache von Synkope, Kammerflimmern und rezidivierenden ventrikulären Tachykardien angesehen. Üblicherweise wird bei Koronarspasmus eine medikamentöse Prophylaxe mit Kalziumantagonisten vorgenommen. Aufgrund der Vorgeschichte sowie der arteriosklerotischen Begleiterkrankung der proximalen LAD wurde in diesem Fall entschieden, das betroffene Segment durch einen Stent zu stabilisieren. Zusätzlich wurden 2 x 12 mg retardiertes Diltiazem pro Tag verordnet. Der weitere klinische Verlauf bestätigte die Annahme des Koronarspasmus als Ursache der Ereignisse, denn der Patient ist nun in einem bisherigen Follow-up von bereits 22 Monaten frei von VT-Episoden im ICDHolter und betreibt wieder ohne Probleme Sport.


Zusammenfassung Ein 54-jähriger Mann synkopiert beim Sport. Angesichts der Tatsache dass belastungsinduzierte Synkopen in der Regel kardial bedingt sind, erfolgte die initiale Abklärung nicht ausreichend konsequent. Im Verlauf kommt es dann zu Kammerflimmern und im Weiteren zu rezidivierenden adäquaten ICD-Schockabgaben. Als schließlich eine sorgfältige Abklärung vorgenommen wird, findet sich ein ursächlicher Koronarspasmus der proximalen LAD. Das betroffene LAD-Segment wird mit einem Stent versorgt, und im Anschluss treten keine ventrikulären Tachykardien bzw. Schockabgaben mehr auf. Das Beispiel unterstreicht die Dringlichkeit und Sorgfalt, mit der kardiale Synkopen abgeklärt werden müssen. Insbesondere bei Vorliegen elektrokardiographischer, klinischer und anamnestischer Hinweise auf eine kardiale Ursache von Synkopen ist unsere Aufmerksamkeit gefordert (Tab. 1).

Tabelle 1: Risikostratifizierung von Synkopen nach ESC-Guidlines 2009 Hochrisikokriterien, die eine umgehende intensive/ stationäre Abklärung bedingen: Schwere strukturelle oder koronare Herzerkrankung Klinische/elektrokardiographische Hinweise für eine arrhythmogene Synkope: • Synkope während Anstrengung oder in Rückenlage • Palpitationen zum Zeitpunkt der Synkope • Familienanamnese für SCD • Nichtanhaltende VT • Bifaszikulärer Block (LSB/RSB plus LAHB/LPSB) oder andere intraventrikuläre Leitungsstörung mit QRS-Dauer >120ms. • Inadäquate Sinusbradykardie (<50/Min.) oder SA-Block bei fehlender negativ-chronotroper Medikation oder körperlichem Training • Präexzitation im QRS-Komplex • Verlängertes oder verkürztes QT-Intervall • RSB mit ST-Hebungen in V1-3 (Brugada-EKG) • Negative T-Wellen und/oder Epsilon-Wellen in den rechtspräkordialen Ableitungen als Hinweis auf ARVC Relevante Komorbiditäten: • Schwere Anämie • Elektrolytstörungen

Eine

Init

ein von W iative

mann

Gesunder Schlaf – klare Herzenssache. SOMNOvent CR – kombinierte Therapie bei Cheyne-Stokes-Atmung und obstruktiver Schlafapnoe Die schlafmedizinische Betreuung herzkranker Menschen mit SOMNOvent CR ist Thema der gleichnamigen Monografie. Sie ist eine von sieben Broschüren aus der Reihe „Gesunder Schlaf – klare Herzenssache“. Die Initiative informiert über den Zusammenhang zwischen schlafbezogenen Atmungsstörungen und einem erhöhten kardiovaskukären Risiko und stellt Therapieoptionen vor: klar, übersichtlich, zielgruppengerecht aufbereitet. T: 040-5 47 02-100, weinmann.de


Bericht zum 21. Seminar Interventive Kardiovaskuläre Medizin Bad Oeynhausen Detlef Hering

ereits zum einundzwanzigsten Mal fand am 15. Januar dieses Jahres im Herz- und Diabeteszentrum NordrheinWestfalen (HDZ), Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, das Seminar „Interventive Kardiovaskuläre Medizin“ mit einer Live-Demonstration aus vier Herzkatheterlaboren statt. Ziel der Veranstaltung war es, einen möglichst umfassenden Überblick über das im HDZ verfügbare Spektrum innovativer katheterbasierter Behandlungsverfahren zu geben. Neben perkutanen Koronar- und Carotisinterventionen stand auch eine Katheterablation von Vorhofflimmern mittels magnetisch gesteuerter Navigation und Bildintegration eines intraprozedural angefertigten Dyna-CT auf dem Programm (Abb. 1). Schwerpunktthema des Seminars war jedoch die kathetergestützte Implantation von Aortenklappenprothesen bei hochgradiger Aortenklappenstenose (transcatheter aortic valve implantation; TAVI). Vor dem Hintergrund einer kontinuierlich ansteigenden Lebenserwartung und hiermit in Zusammenhang stehender Häufigkeitszunahme senil-degenerativer Aortenklappenstenosen stellt die kathetergestützte Aortenklappenimplantation in erfahrenen Händen und bei sorgfältiger Patientenselektion eine viel versprechende neue Therapieoption dar. Ihre potenzielle Bedeutung wird auch aus den Ergebnissen des Euro Heart Survey ersichtlich, nach denen bei einem

B Korrespondenzadresse: Dr. med. Detlef Hering Kardiologische Klinik, Herz- und Diabeteszentrum NRW Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Georgstr. 11 32545 Bad Oeynhausen dhering@hdz-nrw.de

Abb. 1: Katheterablation eines persistierenden Vorhofflimmerns bei einem 63jährigen Patienten. Abgebildet ist eine dreidimensionale Rekonstruktion des linken Vorhofs mittels Dyna-CT (grün) in einer frontalen und sagittalen (Ausschnitt unten rechts) Bildebene. Die Ablationsimpulse sind als rote Punkte dargestellt.

8

Kardioforum 1 | 2010

Drittel aller Patienten mit fortgeschrittener symptomatischer Herzklappenerkrankung (häufig Aortenklappenstenosen) eine chirurgische Therapie unterblieb, was häufig mit einem hohen Alter oder Abb. 2: CoreValveKomorbiditäten der Prothese betroffenen Patienten begründet wurde (1). Während des Seminars konnten die Zuschauer beide derzeit gebräuchliche Implantationstechniken, nämlich die transfemorale Implantation einer CoreValve-Prothese (Abb. 2) und die transapikale Implantation einer Edwards-SAPIENProthese (Abb. 3) live verfolgen. Die Fallpräsentationen umfassten neben einer Darlegung der Behandlungsindikation auch eine Darstellung der erforderlichen Voruntersuchungen, zu denen unter anderem eine Beurteilung der Klappenmorphologie mittels Echokardiographie und CT (Abb. 4) sowie für den transfemoralen

Abb. 3: Aufbringen einer Edwards-SAPIENProthese auf einen Einführungskatheter


Abb. 4 (oben): Cardio-CT-Darstellung der stenosierten Aortenklappe (Pfeile) und des Abgangs der linken Koronararterie (*).

Abb. 5 (rechts): Dreidimensionale CT-Rekonstruktion der Aorta und Iliakalgefäße bei einer 80jährigen Patientin vor geplanter transfemoraler TAVI.

Zugangsweg eine CT-Angiographie des arteriellen Gefäßsystems mit dreidimensionaler Rekonstruktion gehören (Abb. 5). Zunächst wurde einer 87-jährigen Patientin mit einem mittleren transaortalen Druckgradienten von 77 mmHg und einem logistischen EuroScore von 31 eine 26 mm-Edwards-SAPIEN-Prothese implantiert. Hierdurch gelang eine vollständige Gradientenelimination bei nur geringem periprothetischem Leckfluss (Abb. 6). Nach einem unauffälligen postoperativen Verlauf konnte die Patientin am 22.1.2010 in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden.

Danach erhielt eine 80-jährige Patientin (logistischer Euroscore 23) über einen retrograden femoralarteriellen Zugang eine selbstexpandierende 29 mm-CoreValveProthese mit einem ebenfalls optimalen hämodynamischen Resultat (Abb. 7). Abgesehen von einem postprozeduralen AV-Block 3. Grades mit konsekutiver Schrittmacherimplantation war auch hier der weitere stationäre Behandlungsverlauf komplikationsfrei. Beide Eingriffe wurden von einem interdisziplinären Team aus Kardiologen, Herzchirurgen und Kardioanästhesisten in einem speziell hierfür ausgestatteten Herzkatheterlabor durchgeführt. Großer Wert wird auf eine enge Kooperation zwischen Kardiologen und Herzchirurgen gelegt, die auch in gemeinsamen Konferenzen zur Patientenauswahl („TAVIBoard“) ihren Ausdruck findet (Abb. 8). Die 30 Tage-Letalität nach TAVI-Intervention beträgt im HDZ derzeit 5,8 % und liegt am unteren Ende des aus bisherigen Publikationen bekannten Bereichs (2). Das 22. Seminar „Interventive Kardiovaskuläre Medizin“ ist für den 14. Januar 2011 geplant und soll – in der Tradition vorangegangener Veranstaltungen – dem interessierten Fachpublikum wiederum einen faszinierenden Einblick in neueste Entwicklungen der interventionellen Therapie von Herzerkrankungen ermöglichen.

Abb. 8: Das TAVI-Team des HDZ NRW

Literatur

Abb. 6 (oben): Transapikale Implantation einer 26 mm-Edwards-SAPIEN-Prothese bei einer 87-jährigen Patientin (vgl. Text). a) Aortenklappenvalvuloplastie während hochfrequenter rechtsventrikulärer Schrittmacherstimulation. b) Implantation der Prothese. c) Abschlussdarstellung mit Nachweis eines geringen periprothetischen Refluxes (Pfeile). Abb. 7 (unten): Transfemorale Implantation einer 29 mm-CoreValveProthese bei einer 80-jährigen Patientin (vgl. Text). a) Aortenklappenvalvuloplastie. b) Freisetzen der Prothese. c) Abschlussdarstellung ohne Nachweis eines periprothetischen Refluxes.

(1) Iung B, Baron G, Butchart EG et al. A prospective survey of patients with valvular heart disease in Europe: The Euro Heart Survey on Valvular Heart Disease. Eur Heart J 2003; 24: 1231–1243 (2) Vahanian A, Alfieri O, Al-Attar N et al. Transcatheter valve implantation for patients with aortic stenosis: a position statement from the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) and the European Society of Cardiology (ESC), in collaboration with the European Association of Percutaneous Cardiovascular Interventions (EAPCI). Eur Heart J 2008; 29: 1463–1470

Kardioforum 1 | 2010

9


Immer ältere Patienten, immer mehr Herzerkrankungen:

Der aktuelle Herzbericht Marion Zerbst

as wir alle schon immer befürchtet haben oder eigentlich wussten – der Herzbericht bestätigt es wieder einmal: Wir werden immer älter, immer kränker und immer weniger. Zwischen 1980 und 2008 ist die Anzahl der Einwohner in Deutschland zwar von 78 397 483 auf 82 002 356 angestiegen. Nach einer Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts soll sich die Einwohnerzahl bis 2025 jedoch wieder verringern, und zwar schätzungsweise auf 78 773 000. Im Vergleich zum Jahr 2008 wird sich der Anteil der bis 45-jährigen Bundesbürger bis 2025 von über 50 % auf knapp über 45 % reduzieren, und der Prozentsatz der über 65-Jährigen wird von über 20 % auf über 25 % anwachsen: Mehr als jeder vierte Einwohner wird dann das stolze Alter von über 65 Jahren haben – also im heutigen Rentenalter sein. Schon seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts steigt die Lebenserwartung tagtäglich um mehrere Stunden. Die Geburtenrate dagegen sinkt bereits seit geraumer Zeit kontinuierlich auf ein Niveau, das die Bevölkerung immer mehr schrumpfen lässt – erschreckende Zahlen, die die Medizin und vor allem die Kardiologie vor große Herausforderungen stellen. Denn insbesondere Herz-Kreislauf-Krankheiten werden als typische degenerative Erkrankungen mit dem demografischen Wandel zwangsläufig an Häufigkeit zunehmen.

W

Herz-Kreislauf-Erkrankungen – die Herausforderung des 21. Jahrhunderts Und so ist denn auch in der Entwicklung der stationären Morbiditätsziffern bereits jetzt bei fast allen Herz-KreislaufErkrankungen ein Anstieg zu verzeichnen. Nur die ischämischen Herzkrankheiten stellen in dieser Hinsicht eine lo-

10

Kardioforum 1 | 2010

benswerte Ausnahme dar: Bei diesen Erkrankungen ist die Morbiditätsziffer seit 2000 leicht im Sinken begriffen. Die stationären Morbiditätsziffern für Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz dagegen sind von 1997 bis 2002 insgesamt alle angestiegen, wobei für die Herzinsuffizienz seit 1995 sogar eine sprunghafte Erhöhung festzustellen ist. Keine Frage: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind immer mehr im Kommen. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die Infarktsterblichkeit ist weiter gesunken. 2007 starben in Deutschland 57 788 Personen (31 195 Männer, 26 593 Frauen) an akutem Herzinfarkt; das sind 2150 Menschen (3,6 %) weniger als im Vorjahr. Gegenüber dem Jahr 2000 ist die Zahl der an akutem Herzinfarkt Gestorbenen um 9494 zurückgegangen. Tendenziell nähern sich die Sterbeziffern von Männern und Frauen beim akuten Myokardinfarkt immer mehr aneinander an. Das ist zweifellos darauf zurückzuführen, dass Frauen immer mehr Verhaltensweisen und Lebensgewohnheiten der Männer übernehmen – was vielleicht am deutlichsten beim Rauchen zu Buche schlägt. Schätzungen zufolge wird die Anzahl der Herzpatienten aufgrund der demografischen Alterung von 2007 bis 2025 insgesamt um 23 % zunehmen. Auch die Häufigkeit der Komorbiditäten wird steigen: Schon heute leiden rund 66 % aller herzkranken Patienten an Bluthochduck. Die arterielle Hypertonie ist damit, gefolgt vom Diabetes mellitus, die häufigste Komorbidität bzw. Grunderkrankung herzkranker Patienten.

Stent oder Bypass? Von den teilweise konkurrierenden Therapieverfahren PCI und isolierte BypassOperation setzt sich die PCI immer mehr durch, wobei die Drug eluting Stents


Häufigste Komorbiditäten von Herzkranken 70

65,9

Anteil der Herzpatienten (n=1,9 Mio.) mit dieser Komorbidität in Prozent

60 Anteil der Herzpatienten mit der jeweiligen Komorbidität 50

40

28,0

30

20,3 20 14,0

12,3

10

0 Hypertonie

Diabetes mellitus

Osteoarthrose der großen Gelenke

Depression

Atherosklerose, periphere Gefäßerkrankung

häufigste Krankheitsgruppen der 80 ausgewählten Krankheiten Herzbericht 2008

Herzchirurgie wird immer mehr zur Alterschirurgie Grundsätzlich können aber aufgrund technischer Fortschritte und schonenderer Verfahren immer mehr ältere Patienten von herzchirurgischen Eingriffen profitieren: Die Herzchirurgie entwickelt sich in zunehmendem Maß zur Alterschirurgie. So ist zwar die Anzahl der BypassOPs bei Hochbetagten kontinuierlich zurückgegangen; andere Operationen, z. B. Herzklappenoperationen, haben jedoch an Häufigkeit zugenommen. In Deutschland ist das Durchschnittsalter der herzchirurgischen Patienten im Zeitraum 1990–2007 von 55,8 auf 68,8 Jahre angestiegen, wobei der Anteil der über 80-Jährigen mittlerweile rund 10 % beträgt – ein Trend, der sich wahrscheinlich weiter fortsetzen wird. Mit dem Alter der herzchirurgischen Patienten steigt zwar die Anzahl an Be-

gleiterkrankungen und somit auch das Letalitätsrisiko. So ist beispielsweise bei einem 80-Jährigen das Letalitätsrisiko einer isolierten Bypassoperation um das 2,5-Fache höher als beim 60-Jährigen. Durch kontinuierliche Verbesserung der Methoden im Bereich der Chirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin konnte die Operationsletalität der Bypassoperationen im Gesamtkollektiv jedoch trotz Zunahme des Durchschnittsalters der herzchirurgischen Patienten in den letzten 20 Jahren sogar leicht gesenkt werden. Und es ist damit zu rechnen, dass diese guten

Entwicklung der PCI's und der isolierten Koronaroperationen pmp nach Altersgruppen von 2003 bis 2007 100 88,0 80 PCI pmp gesamt = +35,2%

Veränderung in Prozent

(DES) eindeutig auf dem Vormarsch sind: 2008 waren 34,9 % aller implantierten Stents DES; im Jahr 2004 waren es erst 13 % gewesen. Vor allem bei hochbetagten Patienten fällt die Therapieentscheidung bei weitem am häufigsten für das schonendere Verfahren der PCI aus. So wurden im Jahr 2008 bei den über 80-Jährigen 10,8mal so viele PCIs pro 1 Million Einwohner durchgeführt wie Bypassoperationen.

60

isolierte Koronaroperationen pmp gesamt = -21,7%

40

33,6 20,4

17,4

20 8,4 0

-1,0

-1,8 -20 -23,0

-25,6

-27,7

-31,2

-24,7

-40 18–40 Herzbericht 2008

40–50

50–60

60–70

70–80

80+

Altersgruppen

Kardioforum 1 | 2010

11


Ergebnisse sich durch weitere technische Fortschritte (beispielsweise in der Off-pump- bzw. minimalinvasiven Chirurgie) in Zukunft noch weiter verbessern lassen. So gibt es beispielsweise bei den Koronarerkrankungen bereits einen eindeutigen Trend zu schonenderen operativen Verfahren: Die Anzahl der Bypass-OPs ohne Herz-LungenMaschine ist in Deutschland seit 2003 von 53 auf 80 pro 1 Million Einwohner angestiegen.

Wie sieht die Zukunft aus? Der Autor des Herzberichts sieht folgende Zukunftstrends für die Kardiologie und die Herzchirurgie: • Die Anzahl der vollstationären Krankenhausfälle wird in Deutschland aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten ansteigen. Nach den Ergebnissen von Bevölkerungsvorausberechnungen könnte sich die Anzahl der vollstationären Fälle bis 2025 insgesamt um bis zu 20 % erhöhen. Ob Kardiologen oder Herzchirurgen bei dieser Entwicklung die Gewinner sein werden, bleibt abzuwarten und hängt sicherlich in hohem Maße davon ab, welche der beiden Disziplinen sich als innovativer erweist und schneller neue, schonendere Verfahren einführt. • In vieler Hinsicht haben die Interventionalisten bereits die Nase vorn: Die kathetergeführte Klappenimplantation etabliert sich in zunehmendem Maß als Alternative zur traditionellen offenen Herzklappenchirurgie. Bei Pulmonalund Aortenklappenerkrankungen wird das schonendere Katheter-Verfahren schon eingesetzt; man versucht aber auch bereits, kathetergeführte Techniken bei Mitralklappenerkrankungen zum Einsatz zu bringen. Der durch den demografischen Wandel verursachte Mangel an Blutkonserven, der in Zukunft zu erwarten ist, wird den Trend zu schonenderen Behandlungsmethoden noch weiter verstärken. • Andererseits werden Chirurgen und Kardiologen ihre Konkurrenzhaltung infolge der medizinisch-technologischen Entwicklung bis zu einem gewissen Grad aufgeben und zum Wohle der Patienten enger zusammenarbeiten müssen (Beispiel: Hybrid-OP). • Auch in der Bildgebung werden Innovationen zu schonenderen Untersuchungsmethoden führen, wenngleich Herz-CT und -MRT bisher eher eine Ergänzung der Herzkatheteruntersuchung darstellen, statt sie zu ersetzen.

Herzchirurgie im Jahr 2008 ausführlich dargestellt. Auch auf die aktuelle Frage der Priorität der perkutanen Intervention (PCI) oder der Bypassoperation geht der Herzbericht ein. Die Infarktsterblichkeit, aber auch die Sterblichkeit anderer Herzkrankheiten in den 16 Bundesländern und 429 Landkreisen und kreisfreien Städten wird kartografisch sichtbar gemacht. Damit werden informative Vergleiche und „Erfolgsmessungen“ möglich. Der Herzbericht wurde 1988 auf Veranlassung der Gesundheitsministerkonferenz zur Einschätzung des Bedarfs an herzchirurgischen Zentren erstmals erstellt und wird seitdem vom Verfasser ständig erweitert und im Eigenverlag herausgegeben. Er umfasst inzwischen, mit dem Ziel einer sektorenübergreifenden Versorgungsanalyse, neben der Herzchirurgie und Kardiologie im engeren Sinn auch andere mit der Versorgung der davon betroffenen Patienten zusammenhängende Daten und Fakten.

Über den Herzbericht Der 21. Herzbericht für das Jahr 2008 bietet eine umfangreiche, sektorenübergreifende Versorgungsanalyse zur Kardiologie und Herzchirurgie in Deutschland. Neben einem differenzierten Überblick über die aktuelle Situation und Entwicklung der stationären Krankenhausinanspruchnahme und der Morbidität und Mortalität ausgewählter Herzkrankheiten nach Geschlecht und Altersgruppen wird die Angebots- und Leistungsstruktur der Kardiologie und

12

Kardioforum 1 | 2010

Ernst Bruckenberger Herzbericht 2008 ISBN 978-3-00-028922-4 35,-- €

Der nächste Herzbericht (Herzbericht 2009) erscheint Ende 2010.


Sinn und Unsinn von Chest Pain Units Dieter Horstkotte, Klaus-Peter Mellwig, Frank van Buuren

ie Autoren dieses Artikels entstammen der Düsseldorfer Kardiologenschule, die den prognostischen Nutzen einer unverzüglichen Katheterintervention beim ST-Strecken-Hebungsinfarkt (STEMI) schon propagierte, als auf Kongressen noch die (prä-)hospitale Lyse dogmatisch vertreten wurde und die mechanische Eröffnung von Infarktgefäßen nicht selten als patientengefährdendes Hazardieren profilsüchtiger „Interventionalisten“ gebrandmarkt wurde. Die Überlegenheit der Akut-PTCA ist inzwischen eindrücklich belegt und hat Eingang in alle einschlägigen Leitlinien gefunden. Dass dennoch der theoretisch zu erzielende Benefit einer Akut-PTCA gegenüber der (prähospitalen) Lyse-Therapie und erst recht gegenüber einem medikamentös-konservativen Vorgehen bisher bei weitem nicht ausgeschöpft ist, belegen Defizite in der Versorgungsqualität, die durch die Versorgungsdichte nicht erklärt sind. Die Versorgungsdichte (Anzahl der Herzkatheterlabore pro Bevölkerung) in Deutschland ist weltweit unübertroffen: Bei derzeit in Deutschland betriebenen ca. 750 Katheterlaboren kommt ein Katheterlabor statistisch auf weniger als 110 000 Bevölkerung. Auch die Untersuchungs-/Interventionsraten sind mit 1010 diagnostischen und 363 therapeutischen Koronarprozeduren pro 100 000 Einwohnern in Deutschland so hoch wie nirgendwo auf der Welt. Dem steht leider entgegen, dass die Sterblichkeit am STEMI mit 70,3 Todesfällen pro 100 000 Bevölkerung höher ist als in den deutschsprachigen Nachbarländern Österreich (61,3 Todesfälle) und Schweiz (36 Todesfälle). Dies wirft Fragen auf: • Bestehen Mängel in der Ablauforganisation? • Sind Versorgungsqualität oder Versorgungsstruktur unzureichend?

D

• Korreliert eventuell die Versorgungsdichte prinzipiell negativ mit der Versorgungsqualität?

Ablauforganisation Das Rettungssystem in Deutschland ist vorbildlich und selbst außerhalb größerer Städte in aller Regel so organisiert, dass binnen 15 Minuten Hilfe vor Ort ist. Dies ist gerade für die Versorgung von Infarktpatienten wichtig, weil 30 % der Betroffenen vor Erreichen des Krankenhauses bzw. vor Eintreffen des Notarztes an bradykarden oder tachykarden Herzrhythmusstörungen versterben und die Notwendigkeit einer kardiopulmonalen Reanimation ein negativer prognostischer Prädiktor ist. Während die Alarmzeit (Alarmierung der Rettungskette bis Eintreffen des Rettungsmittels/Notarztes) bei uns im internationalen Vergleich besonders kurz ist, sind die Präalarmzeiten (Latenzperiode zwischen Eintreten erster Symptome und Alarmierung der Rettungskette) in Deutschland nicht nur lang, sondern steigen in den letzten Jahre bedauerlicherweise weiter an (vgl. Artikel van Buuren im gleichen Heft). Dies sollte alle Beteiligten wachrütteln: Unsere Aufklärungserfolge sind trotz hohem Einsatz an Personal und monetären Ressourcen nicht erfolgreich, was zur Frustration der engagierten Beteiligten führt. Vielleicht sollte Frau Poth statt für 11 880 (Fußballmannschaft – Oma – Null Probleme) für die 112 werben: Einmal telefoniert – Gefäß in der ersten (goldenen) Stunde wiedereröffnet – zweimal Geburtstag feiern. Hier muss sich auch die Deutsche Herzstiftung fragen lassen, ob sie ihr Vermögen wirklich sinnvoll einsetzt, wenn alle Bemühungen (z. B. Herzwoche) keinen messbaren Erfolg zeigen.

Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte Kardiologische Klinik, Herz- und Diabeteszentrum NRW Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Georgstr. 11 32545 Bad Oeynhausen akleemeyer@hdz-nrw.de

Versorgungsqualität DRG-getriggert werden viele Patienten

Kardioforum 1 | 2010

13


mit einem STEMI in Deutschland fehlgeleitet und unzureichend versorgt. Außer in Regionen, in denen sinnvolle überinstitutionelle Strukturen etabliert wurden, fährt der diensthabende Notarzt „seinen“ Infarktpatienten meist in „sein“ Krankenhaus, auch wenn er weiß, dass er dort möglicherweise schlechter versorgt ist (Rufbereitschaftsdienst usw.) als in einem in etwa gleicher Zeit zu erreichendem anderen Krankenhaus. Die Träger des Rettungsdienstes unterstützen dies beharrlich mit dem Hinweis, dass Rettungsmittel das primäre Einsatzgebiet nicht verlassen dürften – eine Regelung, die es in Deutschland nie gegeben hat.

Krankenhausinterne Mängel im Behandlungsablauf Die Door-to-balloon-time wird in Deutschland nicht systematisch ermittelt, liegt aber nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 20 Minuten und mehreren Stunden. In der Institution der Autoren mit seit 20 Jahren aktiver „Chest Pain Unit“ beträgt sie derzeit 21 Minuten. Vertretbar erscheinen maximal 60 Minuten. Die nicht zielführenden Entlohnungssysteme (DRG) sollten deshalb mit dem Ziel einer effizienten Verbesserung der Versorgungsqualität überdacht werden (s. u). Dagegen spielt die oft beschworene Transportzeit in Deutschland mit seiner relativ hohen Wohnbevölkerungsdichte und der immensen Zahl an Katheterlaboren außer in einigen wenigen Regionen keine Rolle.

Korreliert die Versorgungsdichte negativ mit der Versorgungsqualität? Die Daten legen dies nahe. Die Schweiz, im Vergleich zu Österreich und Deutschland mit niedriger Versorgungsdichte, hat die besten Ergebnisse in der Versorgung des

25 14,1

3,8

Prognoseverbesserung (Faktor) 3,5

3,7

4

61,75 n=109

76,90 n=76

30-Tage-Mortalität (%)

20

15

10

5

1 0 <60 n=104

Zeit bis zur PTCA

Abb. 1: Berger PB, Circulation 1999;14–20

14

Kardioforum 1 | 2010

Myokardinfarkts. Dies mag viele Gründe haben, sicherlich aber auch den, dass kantonsweise organisiert ist, wohin STEMI-Patienten zu verbringen sind, und dass dort rund um die Uhr eine kompetente Versorgung besteht. In Deutschland werden Patienten oft genau in das Krankenhaus transportiert, in dem eine effektive Therapie gar nicht (kein Herzkatheterlabor, keine Kreislaufunterstützungssysteme) oder nur mit erheblichem Zeitverzug (Herzkatheterlabor personell nicht besetzt, lange Rufbereitschaftszeiten) möglich ist.

Was kann die Chest Pain Unit leisten? Damit sind die zwei wesentlichen Prädiktoren für einen suboptimalen Versorgungsprozess eindeutig benannt: Präalarmzeit und krankenhausinterne Mängel im Behandlungsablauf. Letzteren kann durch zertifizierte Standards und Prozesse abgeholfen werden. Mit diesem Ziel hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) durch eine Arbeitsgruppe (Task Force Chest Pain Unit) Kriterien erarbeiten lassen, die erfüllt sein müssen, damit Versorgungsstrukturen für Infarktpatienten zertifizierbar werden. Die Minimalanforderungen (die somit leider ausreichen, um Zertifizierung und Plakette zu erlangen) sind räumlicher Art, betreffen die Liegekapazität sowie die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit von apparativen Leistungen. Darüber hinaus sind apparative Ausstattungen und detaillierte Behandlungspfade Voraussetzung für den Betrieb einer zertifizierten Chest Pain Unit (Minimalanforderungen). Zusätzliche DGK-Empfehlungen listen wünschenswerte, aber leider unverbindliche darüber hinausgehende Qualitätsmerkmale auf. Diese Regelungen sind somit geeignet, um Einrichtungen zu disqualifizieren, die grundsätzlich nicht in der Lage sind, Infarktpatienten aus organisatorischen, apparativen oder personellen Gründen zu versorgen. Das Konzept 2,2 greift jedoch zu kurz, was sich voraussehbar daran zeigen wird, dass die Zahl der Todesfälle am akuten Myo14,1 kardinfarkt in Deutschland auch in den nächsten Jahren nicht sinken wird. Diese pes6,4 simistische Einschätzung gründet auf zwei Annahmen, von denen nur die zweite das Instrument der >91 PTCA not n=140 performed Chest Pain Unit direkt ben=93 trifft. Die Ergebnisse der GustoIIb-Studie haben gezeigt,


dass die Letalität nach Eintritt eines akuten STEMI bei mechanischer Wiedereröffnung in der ersten Stunde 1 % betrug und heute wahrscheinlich noch niedriger liegt. Mit weiterem Zeitverzug steigt die Mortalität exponentiell an (Abb. 1) und lag für Patienten ohne mechanische Rekanalisation bei 14,1 %. Ziel muss deshalb sein, alle Patienten innerhalb von 120 Minuten nach Auftreten primärer Symptome des akuten Myokardinfarkts einer Gefäßeröffnung mittels PCI zuzuführen (Contact-to-balloon < 120 min). Dies ist ein ehrgeiziges, u. U. auch kostenintensives Ziel, wahrscheinlich aber kosteneffektiv, weil die Sozialsysteme erhebliche Folgekosten einsparen. Die wesentlichen Stellgrößen zur Erreichung dieses Ziels sind die Verkürzung der Präalarmzeit und die Optimierung der Versorgungskette, so dass der Patient dorthin gelangt, wo die Eröffnung des Gefäßes innerhalb von 120 Minuten (besser 60 Minuten) nach Initiierung des Alarms am ehesten gewährleistet ist. Wie vom Institut für Herzinfarktforschung hinreichend belegt, sind dabei die Transportwege das allergeringste Problem.

Beseitigung von Mängeln im Organisationsablauf Unser DRG-System ist ein Belohnungssystem. Je höher die Belohnung, desto eher die Bereitschaft, Organisationsstrukturen zu verändern. In einigen Bereichen sieht das DRG aber auch bereits „Bestrafungen“ vor. Für die Autoren besteht der wesentliche Sinn der Zerti-

fizierung als „Chest Pain Unit“ darin, der zertifizierten Einheit zu attestieren, dass sie in der Lage ist, einen Infarktpatienten in kurzer Zeit adäquat zu behandeln. Die Konsequenz hieraus sollte sein, dass ein STEMI-Patient, der einer Chest Pain Unit zugewiesen wird, innerhalb von 30 Minuten ab dem Eintreffen revaskularisiert ist. Sollte eine Revaskularisation innerhalb einer Zeit von 60 Minuten aus welchen Gründen auch immer nicht gelingen, sollte das DRGEntgelt entfallen. Im Gegenzug sollte das Entgelt für eine zeitgerecht erfolgreiche Rekanalisation deutlich aufgestockt werden. Das Argument, dass auch bei zeitgerechter Zuführung zum Herzkatheterlabor eine Rekanalisation erfolglos bleiben kann, verfängt nicht, da sich diese Patienten auf alle Institutionen „normal verteilen“. Allerdings würden Chest Pain Units mit einem überdurchschnittlich hohen Rekanalisationsmisserfolg gewollt bestraft. Chest Pain Unit-Zertifizierungen sind zur Optimierung von Behandlungsabläufen und zur Disqualifizierung primär ungeeigneter Zentren geeignet. Eine Outcome-Verbesserung für die Patienten wird dadurch allein aber wohl nicht erreicht, wenn die Chest Pain Units nur anhand ihrer zum Zeitpunkt der Zertifizierung präsentierten, im Dauerbetrieb möglicherweise aber gar nicht realisierbaren apparativen/personellen ablauforganisatorischen Parameter begutachtet werden. Die alltagstäglichen, tatsächlichen Handlungsabläufe und Therapieerfolge sind zu hinterfragen und Defizite zu sanktionieren.

Patienten mit ST-Strecken-Hebungsinfarkt: eine Kasuistik Versorgungstechnisch liegt das HDZ NRW geographisch prekär am äußersten Rand des Landes Nordrhein-Westfalen, ca. 10 km von der Landesgrenze zu Niedersachsen entfernt. Bad Oeynhausen gehört zum Landkreis Minden-Lübbecke. Das HDZ NRW liegt aber nur 500 m vom Landkreis Herford und etwa 2 km entfernt vom Landkreis Lippe-Detmold entfernt. Für die Notfallversorgung besteht somit eine Gemengelage. Im vorliegenden Fall erlitt ein 45-jähriger Familienvater in einem zum HDZ NRW grenznahen Ort eines anderen Landkreises nachts gegen 23.15 h einen akuten Myokardinfarkt. Es erfolgte die Alarmierung des Notarztwagens (über das Rettungssystem des entsprechenden Landkreises). Der Notarztwagen aus Bad Oeynhausen wäre an dieser Stelle in ca. zwei Minuten gewesen, wurde aber nicht alarmiert. Der aus dem Nachbarkreis

anrückende Notarztwagen benötigte 17 Minuten, um den Patienten aufzunehmen. Es bestanden eine instabile Kreislaufsituation und anhand des EKGs eindeutige Zeichen eines ST-Strecken-Hebungsinfarktes. Der Patient wurde mittels Notarztwagen in das zuständige Kreiskrankenhaus verbracht. Die Transportzeit betrug 23 Minuten. Das Kreiskrankenhaus verfügt über eine Kathetereinrichtung, war aber nachts personell nicht besetzt. Während der Wartezeit auf das Bereitschaftsteam entwickelte sich ein kardiogener Schock, so dass der Patient nach weiteren 30 Minuten und Einleitung allgemeiner Maßnahmen mit dem gleichen Notarztwagen nun in das ursprünglich nur 500 Meter vom Einsatzort entfernte HDZ NRW gebracht und sofort versorgt wurde (Transportzeit 22 Minuten). Quintessenz: Zeitverlust insgesamt ca. 90 Minuten.

Kardioforum 1 | 2010

15


Die interventionelle Versorgung des akuten Koronarsyndroms in Deutschland Frank van Buuren, Dieter Horstkotte er Herzinfarkt ist eine der Haupttodesursachen in Deutschland. Die jährliche Inzidenz beträgt 300 Infarkte pro 100 000 Einwohner und ist damit deutlich höher als in den Mittelmeeranrainerstaaten und der Schweiz (200 Ereignisse pro 100 000 Einwohner). Die skandinavischen Länder (300 bis 400 Ereignisse pro 100 000 Einwohner) sowie England und Ungarn (400 bis 500 bzw. 100 000) weisen höhere Raten auf. Pro Jahr erleiden in Deutschland etwa 280 000 Menschen einen Herzinfarkt. Laut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes starben im Jahr 2006 in Deutschland etwa 61 000 Menschen unmittelbar an einem akuten Herzinfarkt, der damit an zweiter Stelle der Todesursachenstatistik

D Korrepondenzadresse: Dr. med. Frank van Buuren Kardiologische Klinik, Herz- und Diabeteszentrum NRW Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Georgstr. 11 32545 Bad Oeynhausen fvbuuren@hdz-nrw.de

Anzahl

50

30

15

Abb. 1: Anzahl der Herzkatheterlabore je Landkreis

16

Kardioforum 1 | 2010

5

1

für Deutschland steht. Diese Zahlen veranschaulichen die große medizinische und volkswirtschaftliche Bedeutung des akuten Koronarsyndroms (ACS) und insbesondere des STStrecken-Hebungsinfarktes (STEMI). Neben der in besonderen Situationen weiterhin indizierten fibrinolytischen Therapie kommt der mechanischen Wiedereröffnung des Infarktgefäßes mittels perkutaner koronarer Intervention (PCI) wesentliche Bedeutung zu. Die PCI ist im Vergleich zu allen anderen Therapieoptionen entscheidend, um einen Überlebensvorteil zu sichern. Zu Recht ist deshalb die Akut-PCI des STEMI die in Leitlinien mit Evidenzgrad Ia belegte Therapie der Wahl. Die Versorgungsstruktur in Deutschland im Bereich der interventionellen Kardiologie wird seit nunmehr 25 Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Kooperation mit dem Herz- und Diabeteszentrum NRW erfasst. Seit Beginn dieser Umfrage ist eine kontinuierliche Zunahme der Anzahl der in Deutschland betriebenen Herzkatheterlabore (HKL) dokumentiert. Im Jahr 2008 wurden an insgesamt 482 Standorten 765 HKL betrieben (Abb. 1). Entsprechend der Bevölkerungsdichte in Deutschland ergibt sich zwar eine unterschiedliche „Gerätedichte“ mit einer hohen Anzahl an HKL in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg, aber auch in der Fläche eine Versorgungsdichte, die in keinem anderen Staat weltweit erreicht ist (Tab. 1). Die Leistungszahlen der einzelnen Bundesländer (Tab. 2) belegen eine beeindruckend hohe Anzahl von durchgeführten Herzkatheteruntersuchungen (HK) und Ballondilatationen (PCI) pro 100 000 Bevölkerung. Im Bundesdurchschnitt entfallen auf 100 000 Einwohner pro Jahr 1030 HK und 370 PCI. Da der Anteil des STEMI an der Ge-


samtzahl aller akuten Koronarsyndrome etwa ein Drittel ausmacht, ist selbst bei Annahme einer überproportionalen PCIVersorgung des STEMI-Patienten davon auszugehen, dass lediglich jeder achte bis zehnte STEMI-Patient eine Akut-PCI erhält, und davon wahrscheinlich deutlich weniger als ein Drittel (also nur etwa 3 % aller betroffenen Patienten) innerhalb des prognoserelevanten Zeitfensters von zwei Stunden. Im Jahr 2008 erhielten in Deutschland pro Jahr und 100 000 Einwohner lediglich 89 ACS-Patienten eine Akut-PCI (Tab. 1 und Abb. 2). Angesichts der Konsequen-

zen bezüglich der Prognose und Folgekosten eine inakzeptable Zahl, zumal sich in der MITRAplus-Studie zeigte, dass sich die Prähospitalzeit beim akuten Herzinfarkt trotz zahlreicher Aufklärungskampanien weiter verlängert hat. Lag diese in den Jahren 1994–1996 noch bei 166 Minuten, so ist sie im Jahr 2002 auf 192 Minuten angestiegen. Angesichts der vorgehaltenen Versorgungsdichte (Anzahl der Katheterlabore und der diagnostischen und therapeutischen Koronarprozeduren pro 100 000 Bevölkerung) besteht somit eine durch Fehlanreize mitverursachte Ineffizienz des Versorgungs-

Tabelle 1: Herzkatheter, Ballondilatationen und Fälle von interventionell behandelten akuten Koronarsyndromen im Jahr 2008, bezogen auf 100 000 Einwohner und aufgeschlüsselt nach Bundesländern Bundesland

HK

PCI

Baden-Württemberg

939,37

357,07

85,09

Bayern

987,49

357,96

90,95

Berlin

1031,48

461,26

106,33

963,29

352,35

95,38

Bremen

1464,65

513,25

129,03

Hamburg

1660,63

560,80

104,68

Hessen

1033,81

417,02

84,44

Mecklenburg-Vorpommern

1178,23

442,69

107,73

933,37

303,55

81,71

1130,53

381,15

92,21

853,82

288,23

82,13

Saarland

1209,43

438,11

99,00

Sachsen

1018,51

376,03

99,74

Sachsen-Anhalt

967,52

324,95

94,09

Schleswig-Holstein

969,35

337,41

92,12

Thüringen

989,52

363,88

89,87

1030,67

370,52

89,06

Brandenburg

Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz

Bundesrepublik

ACS

HK = Herzkatheteruntersuchungen, PCI = Ballondilatationen, ACS = akutes Koronarsyndrom

Kardioforum 1 | 2010

17


Tabelle 2: Leistungszahlen der Erwachsenenkardiologie 2008 nach Bundesländern und pro 100 000 Einwohner Bundesland

Diagnostik (D)

Koronarinterventionen (I)

Relation

Anzahl

Summe

pro 100000

Anzahl

Summe

pro 100000

Baden-Württemberg

66

100 978

939

57

38 383

357

38,0

Bayern

86

123 631

987

80

44 816

358

36,3

Berlin

21

35 397

1031

19

15 829

461

44,7

Brandenburg

15

24 299

963

15

8888

352

34,6

Bremen

4

9 694

1464

4

3397

513

35,0

Hamburg

20

29 428

1660

20

9938

561

33,7

Hessen

40

62 700

1034

38

25 292

417

40,3

9

19 610

1178

9

7368

443

37,6

56

74 177

933

55

24 124

304

32,5

136

202 739

1131

111

68 351

381

33,7

23

34 395

854

19

11 611

288

33,8

Saarland

5

12 461

1209

5

4514

438

36,2

Sachsen

21

42 704

1019

18

15 766

376

36,9

Sachsen-Anhalt

16

23 045

968

15

7740

325

33,6

Schleswig-Holstein

19

27 474

969

18

9563

337

34,8

Thüringen

16

22 440

990

16

8252

364

36,8

553 *

845 172

1031

499

303 832

371

35,95

Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz

Bundesrepublik

I:D (%)

* Drei Leistungsanbieter bieten ausschließlich elektrophysiologische Prozeduren an.

systems. Andere kardiovaskuläre Therapieansätze sind demgegenüber erheblich kosteneffizienter, was über kurz oder lang den Gesetzgeber wohl auch zu einer Korrektur der Entgeltsysteme veranlassen wird. Zudem ist insbesondere für Frauen, ältere Patienten und Typ-2-Diabetiker ein überdurchschnittlich verzögertes Eintreffen in der behandelnden Klinik belegt. Für die Subgruppe der Diabetiker betrug die Zeitdauer bis zum Eintreffen in der Klinik 225 Minuten. Patienten, die älter als 75 Jahre waren, trafen erst nach 226 Minu-

18

Kardioforum 1 | 2010

ten im Krankenhaus ein. Die Zeit vom Schmerzbeginn bis zur PCI („onset-toballoon-time“) ist zudem erheblich von Rahmenbedingungen wie der Tageszeit und dem Wochentag beeinflusst. Angesichts der Mortalitätsraten des ACS ist die aktuelle Versorgung in Deutschland nicht zufriedenstellend. Im Hinblick auf die Bundesländer ergibt sich eine häufigere interventionelle Behandlung von ACS-Patienten in Bremen, Hamburg und Berlin (Tab. 1). Ob dies auf die bessere Information der Bevölkerung oder die bessere Infrastruktur zurückzu-


führen ist, bleibt offen. Für Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ergeben sich die geringsten Quoten für die interventionelle Akutversorgung des ACS. Im internationalen Vergleich wird in Deutschland relativ häufig zum Katheter gegriffen, allerdings betreffen die letzten veröffentlichen Zahlen das Jahr 2002 (Tab. 3). Mitte 2010 werden neue Vergleichszahlen vorliegen. Sicher wird Deutschland dann wieder einen der Spitzenplätze bezüglich der Häufigkeit der Katheterinterventionen und der Gerätedichte belegen. Ob dieses auch zu einer verbesserten Versorgung von ACS-Patienten geführt hat, ist zu bezweifeln. Sicher ist allerdings, dass eine Verkürzung der Prähospitalzeit durch weitere Aufklärung der Bevölkerung und eine verbesserte Kooperation mit den Ersthelfern unbedingt anzustreben ist.

Anzahl 10 000

5000

2500

1000

100

Abb. 2: Anzahl der Akut-PCIs bei akutem Koronarsyndrom je Landkreis

Tabelle 3: PCI und Stentimplantationen in ausgewählten Ländern Europas im Jahr 2002 Land

PCI abs.

Albanien

PCI pmp

Stent abs.

Stent pmp

50

14

30

8

19 000

1847

14 000

1361

20 7937

2524

164 305

1994

5365

1034

4700

905

Frankreich

95 000

1579

88 000

1462

Großbritannien

44 913

747

38 715

644

Italien

75 779

1307

64 405

1110

Malta

1157

2893

678

1695

20 000

1238

14 500

898

Norwegen

7649

1683

6500

1430

Österreich

13 581

1659

11 455

1399

Portugal

6800

673

5700

564

Schweiz

12 500

1708

10 500

1435

9500

927

6800

663

Belgien Deutschland Finnland

Niederlande

Tschech. Rep. abs. = absolut

pmp = per million people

Literatur Die Literaturliste finden Sie im Internet unter www.kardioforum.com

Kardioforum 1 | 2010

19


Antikoagulation beim akuten Koronarsyndrom Dietrich C. Gulba as akute Koronarsyndrom wird in der weiten Majorität der Fälle durch eine Koronarthrombose, die sich einer Plaqueerosion oder -ruptur aufpfropft, ausgelöst. Ursache der akuten Symptomatik, nicht aber der zugrunde liegenden Erkrankung stellt damit eine Aktivierung der Blutgerinnung dar. Mit dem Prozess der Blutgerinnung wird einerseits der Heilungsprozess eingeleitet, andererseits verengt das entstehende Blutgerinnsel die Blutstrombahn und kann so den Blutfluss im betroffenen Gefäß stören oder gar zum Erliegen bringen und damit sekundär das abhängige Gewebe schädigen. Um die sekundären Gewebeschäden zu verhindern, besteht das primäre therapeutische Ziel letztlich darin, das Wachstum der Blutgerinnsel und damit die Koronarobstruktion nach Möglichkeit zu verhindern. Unabhängig davon, ob eine konservative oder interventionelle Strategie gewählt wird, stellen daher antithrombotisch-/antikoagulatorische Medikamente eine entscheidende Komponente aller Therapieoptionen dar.

D

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Dietrich Gulba Medizinische Klinik I Krankenhaus Düren gGmbH Roonstr. 30 52351 Düren Tel.: 02421 30-1310 Fax: 02421 37827 Innere1@Krankenhaus-Dueren.de www.krankenhaus-dueren.de

Das System der Hämostase Wundheilung setzt ein intaktes Hämostasesystem voraus. Das Hämostasesystem besteht aus prothrombotischen und antithrombotischen Hämostasefaktoren, den Faktoren des Fibrinolysesystems sowie Gerinnungs- und Fibrinolysemodulatoren. Damit es nicht zu einer systemisch unkontrollierten Gerinnung kommt, welche mit dem Leben nicht vereinbar wäre, ist das Hämostasesystem immer leicht zugunsten der Antigerinnung verschoben. Nach Aktivierung des Hämostasesystems sorgt das systemische Überwiegen der Antigerinnung zudem auch dafür, dass die Gerinnungsaktivität ausschließlich auf den Ort beschränkt bleibt, an dem die Blutgerinnung physiologisch erforderlich ist.

20

Kardioforum 1 | 2010

Immer dort, wo Blutgefäße verletzt werden, erfolgt als erster Schritt im Heilungsprozess eine Aktivierung der Blutgerinnung. Hierzu bedarf es – unabhängig davon, ob ein venöses oder arterielles Gefäß verletzt wurde – zunächst der Abscheidung von Blutplättchen, an deren Oberfläche sich dann im Konzert mit dem an der Wunde freigesetzten „Tissue Factor (TF)“ (Initiationskomplex) der Tenasekomplex (TF, FVII) und dann der Prothrombinasekomplex (FVII, FV, FX) assemblieren kann. Dieser führt letztlich zur Bildung des aktiven Thrombins (aus Prothrombin), welches schließlich die Fibrinbildung und damit die Präzipitation eines Blutgerinnsels bewerkstelligt (Übersicht Abb. 1). Auf dem Weg dieser Kaskade erfolgt lokal eine ca. 1600-fache Wirkungsverstärkung. Immer dort, wo Blutgerinnung aktiviert wird, werden durch die Blutgerinnungsfaktoren selbst sowohl Verstärkungs(Feedback-Aktivierung) als auch Kontrollmechanismen (z. B. Prot. C & S-System, Fibrinolyse) aktiviert (Abb. 2). Auch dies sorgt dafür, dass nicht eine unkontrollierte Aktivierung der Blutgerinnung akzidentell zum Erstarren des Blutes im ganzen Körper führen kann, was mit dem Leben unvereinbar wäre. Es soll an dieser Stelle noch einmal auf den Umstand hingewiesen werden, dass an der Bildung von Blutgerinnseln, unabhängig davon, ob es sich um venöse oder arterielle Blutgerinnsel handelt, sowohl die Blutplättchen als auch die systemische Gerinnungskaskade beteiligt sind. Dies erklärt auch, dass Eingriffe in die Plättchenaktivierung ebenso wie Eingriffe in die plasmatische Gerinnung zur Hemmung der Thrombenbildung sowohl im venösen als auch im arteriellen System eingesetzt werden können und dort die Bildung von Blutgerinnseln wirksam hemmen.


Abb. 1: Das Gerinnungssystem: Die Thrombozyten bilden über der Gefäßwunde eine Phospholipidoberfläche, auf der sich die Gerinnungsfaktoren assemblieren können. Diese bildet gemeinsam mit dem Tissue Factor (TF) den Initiatorkomplex. Auf der Plättchenoberfläche können sich dann in geordneter Folge die Gerinnungsfaktoren zu Komplexen assemblieren und so aus sterischen Gründen die Gerinnungsaktivierung begünstigen, die zur Fibrinpräzipitation und Thrombusbildung führen. Die Komplexe sind in ihrer Folge: der Tenasekomplex (TF, FVIIa), und der Prothrombinasekomplex (FVIIa, FVa, FXa). Letzterer führt zur Polymerisierung und Präzipitierung von Fibrin und damit zur Thrombusbildung.

Abb. 2: Die Gerinnungskontrolle über Feedback-Aktivierungsmechanismen. Sobald Thrombin aktiviert wird, kommt es einerseits zur Aktivierung von FIX und FVIII, andererseits über den Thrombin aktivierbaren Fibrinolyse-Inhibitor (TAFI) zur Verstärkung der Blutgerinnung. Andererseits aktiviert Thrombin über Thrombomodulin die inhibitorische Prot. C/Prot. S-Kaskade, daneben aber auch direkt und über die Aktivierung von Prot. Z zur Aktivierung der Pro-Urokinase (scuPA) zu Urokinase (uPA) und damit zur Aktivierung des Fibrinolysesystems, welches entstandene Thromben wieder aufzulösen vermag.

In der nachfolgenden Übersicht über die derzeit oder in naher Zukunft verfügbaren gerinnungshemmenden Substanzen sollen im Nachfolgenden entsprechend ihrem Platz in der Gerinnungsaktivierung zunächst die Hemmstoffe der Blutplättchen besprochen werden, bevor die Substanzen, welche die plasmatische Gerinnung hemmen können, näher beleuchtet werden.

Thienopyridine Thienopyridine sind in der Lage, den P2Y12-ADPRezeptor irreversibel zu hemmen. Für die Kombination des ersten verfügbaren Thienopyridins, des Ticlopidins, mit Acetylsalicylsäure konnte bereits zu Beginn der 90er Jahre eine überlegene Wirksamkeit im Vergleich zur Vollantikoagulation plus ASS (plus Dipyridamol) bei Patienten mit Stentimplantation gezeigt werden. Die unter Ticlopidin relativ häufig auftretenden schweren Nebenwirkungen, insbesondere Leukopenien und Agranulozytosen, haben jedoch einem breiteren Einsatz dieser Substanz – z. B. beim akuten Koronarsyndrom – im Wege gestanden. Mit Clopidogrel (Plavix® oder Iscover®) stand dann bereits Mitte der 90er Jahre ein besser verträgliches Thienopyridin zur Verfügung. Wie in der CURE-Studie gezeigt werden konnte, kann durch eine 9- bis 12-monatige Gabe einer Kombination von 75 mg/Tag Clopidogrel oral (nach einer „Loading Dose“ von 300 mg p. o.) mit Acetylsalicylsäure in Standarddosierung eine signifikante Senkung kardialer Ereignisse nachgewiesen werden. Dieser Effekt wurde unabhängig davon beobachtet, ob die Patienten begleitend interventionell oder ausschließlich konservativ behandelt wurden. Die leitliniengerechte Therapie der Patienten mit ACS beinhaltet daher heute, neben der lebenslangen ASS-Therapie, auch eine Therapie mit 75 mg Clopidogrel p. o. für 9 bis 12 Monate. Clopidogrel muss nach oraler Aufnahme noch resorbiert

Hemmstoffe der Thrombozytenaktivierung Wie bei allen Patienten mit Koronarerkrankung stellt Acetylsalicylsäure (ASS) in einer Dosis von 100 mg/Tag p. o. (ggf. nach einer Aufsättigungsdosis von 300 mg einmalig) die Basis der leitliniengerechten Therapie dar. Obwohl im klinischen Alltag allgemein akzeptiert, wird diese Dosisempfehlung von manchen Experten als immer noch zu hoch empfunden und bleibt daher ebenso wie die Frage, ob initial eine intravenöse Gabe zu bevorzugen sei, weiter diskutiert. Während Acetylsalicylsäure eine irreversible Hemmung der Thromboxansynthese und über diesen Weg eine Hemmung der Thrombozytenfunktion bewirkt, können die Thrombozyten auch nach vollständiger Thromboxanhemmung auf anderen Wegen aktiviert und aggregiert werden. Für die Thrombozytenaktivierung spielen u. A. auch der ADP-Rezeptor, der Thrombinrezeptor und für die Aggregation der Fibrinogenrezeptor (GPIIb/IIIa-Rezeptor) eine bedeutende Rolle.

Kardioforum 1 | 2010

21


Hintergrund-Variabilität

Clopidogrel 300 mg LD Abb. 3: Cross-over-Studie bei gesunden Probanden mit äquivalenten Dosen von Clopidogrel und Prasugrel. Die mit Clopidogrel erreichten Wirkspiegel sind einer erheblichen Variabilität unterworfen. Mit Prasugrel werden nicht nur höhere Wirkspiegel erreicht, die interindividuelle Variabilität des Hemmniveaus ist darüber hinaus erheblich geringer. Brandt J. T. et al. Am Heart J 2007;153(1): 66.e9–16

Literatur Gulba DC (Hrsg). Medikamentöse Therapie des akuten Koronarsyndroms. UniMed Verlag, Bremen 2009 Weitere Literatur beim Verfasser

22

Kardioforum 1 | 2010

Prasugrel 60 mg LD und dann in den aktiven Metaboliten verstoffwechselt werden. Im Durchschnitt werden 85 % der Substanz in einen inaktiven, dagegen lediglich ca. 15 % in den aktiven Metaboliten umgewandelt. Der Stoffwechsel in der Leber, welcher zum aktiven Metaboliten führt, ist abhängig vom Cytochrom CYP 2C19. Dieser Stoffwechselweg ist interindividuell sehr variabel (Polymorphismus) angelegt und sättigbar. Auch konkurrieren zahlreiche andere Stoffe (z. B. Protonenpumpenhemmer) mit dem Clopidogrel um die CYP 2C19-abhängige Verstoffwechselung. Dies schlägt sich in interindividuell sehr unterschiedlicher Verfügbarkeit des aktiven ClopidogrelMetaboliten im Blut und damit in sehr variablen Hemmniveaus bei unterschiedlichen Patienten mit subtherapeutischer Thrombozytenhemmung bei einer Vielzahl von Patienten nieder (Abb. 3). Dieses Phänomen, das sich durch Erhöhung der Clopidogrel-Dosis teilweise kompensieren lässt, ist fälschlicherweise von vielen Autoren mit dem Terminus Clopidogrel-Resistenz belegt worden. Eine wichtige Interaktion um die Verstoffwechselung besteht beispielsweise mit Protonenpumpenhemmern. Dies hat die EMEA zu einem „Rote Hand Brief“ veranlasst, welcher zum Ziel hat, die

Kombination von Clopidogrel mit Protonenpumpenhemmern ausdrücklich zu unterbinden. Dass sich diese Interaktion außer in variablen Hemmwerten im Labor auch in einer Erhöhung der Endpunkte niederschlägt, konnte andererseits in keiner Studie oder Metaanalyse konklusiv nachgewiesen werden (OASIS 7, PLATO). Verschiedene Autoren empfehlen zur Kompensation der variablen Metabolisierung und zur Erreichung einer berechenbaren Bioverfügbarkeit eine Erhöhung der „Loading Dose“ auf 600 bis 900 mg und eine Erhaltungsdosis von 150 mg pro Tag. Die Überlegenheit dieser erhöhten Clopidogrel-Dosen konnte in der OASIS 7-Studie jedoch nicht überzeugend nachgewiesen werden. Prasugrel (Efient®) ist ein weiteres Thienopyridin, welches konstant mit über 90 % in seinen aktiven Metaboliten verstoffwechselt wird und innerhalb von 2 Stunden nach oraler Gabe bei über 90 % der Patienten eine wirksame Thrombozytenhemmung gewährleistet (Abb. 3). In einer „Loading Dose“ von 60 mg p. o. mit einer Erhaltungsdosis von 10 mg pro Tag, p. o. gegeben, konnte für Prasugrel gegenüber Clopidogrel, in Standarddosis gegeben, in der TRITON-TIMI 38-Studie eine überlegene Wirksamkeit nachgewiesen werden, allerdings bei signifikant erhöhten Blutungsnebenwirkungen. Da insbesondere Patienten im Alter > 75 Jahren von den Blutungsnebenwirkungen betroffen sind, wird bei ihnen ebenso wie bei anderen blutungsgefährdeten Patienten zu großer Zurückhaltung beim Einsatz von Prasugrel geraten. Ansonsten kann nach heutiger Ansicht Prasugrel die Clopidogrel-Therapie voll umfänglich ersetzen. Weitere Thienopyridin-Derivate befinden sich in der klinischen Entwicklung und werden in naher Zukunft für den Einsatz in der Klinik erwartet. ADP-Analoga In jüngster Zeit sind ADP-analoge Substanzen als Thrombozytenhemmstoffe entwickelt worden (Cangrelor, Ticagrelor), Sie besetzen den ADP-Rezeptor auf den Thrombozyten reversibel und blockieren


Inhibitoren des Fibrinogen-(GP IIb/IIIa)-Rezeptors Die Thrombozytenaktivierung, egal über welchen der verschiedenen Aktivierungswege sie initial erfolgt, resultiert immer in der Aktivierung der GP IIb/IIIa-Rezeptoren auf der Oberfläche der Thrombozyten. Der GP IIb/IIIa-Rezeptor ist ein Glycoproteinrezeptor, der nur auf den Blutplättchen zu finden und damit für die Thrombozyten spezifisch ist. Der GPIIb/IIIa-Rezeptor wird in ca. 50–80 000 Kopien pro Plättchen gefunden, im ruhenden Blutplättchen liegt er überwiegend in der inaktiven Form vor. Nur eine Minorität der Rezeptoren ist auch in Ruhe in einem aktivierten Status. Über diese Rezeptoren kann das Blutplättchen an Fremdoberflächen adhärieren, sofern auf diesen der VonWillebrand-Faktor exponiert wird. Erst nach Adhäsion und Aktivierung der Plättchen wird der überwiegende Teil der GP IIb/IIIa-Rezeptoren in den aktiven Zustand überführt, zusätzlich werden weitere GP IIb/IIIa-Rezeptoren an die Zelloberfläche geschleust. Mit diesen aktivierten Rezeptoren „fischt“ das Blutplättchen nun sekundär Fibrinogenmoleküle aus dem Blut, welche dort in nahezu unbegrenzter Menge verfügbar sind. Da es sich bei Fibrinogen um symmetrisch aufgebaute Moleküle handelt, können die Blutplättchen über ihre GP IIb/IIIaRezeptoren reversible Plättchenaggregate bilden. Erst die stabile Vernetzung durch zusätzlich präzipitiertes Fibrin macht aus den reversiblen Plättchenaggregaten feste Blutgerinnsel. Der essenziellen Bedeutung der GPIIb/IIIa-Rezeptoren im Prozess der Initiation der Blutgerinnung folgend („final common pathway“ der Plättchenaggregation), hat man die Blockade des GP IIb/IIIa-Rezeptors als Ziel der Gerinnungsblockade erkannt und zum therapeutischen Ziel entwickelt. Der erste GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonist war ein rekombinantes, chimäres Fab’-Antikörperfragment (Abci-

ximab, ReoPro®), welches periinterventionell bei Patienten mit Koronardilatation mit und ohne akutem Koronarsyndrom eingesetzt wurde und mit dem die Rate sekundärer ischämicher Ereignisse signifikant gesenkt werden konnte. Aufgrund der überzeugenden periinterventionellen Ergebnisse hat Abciximab als Bolus plus 12-stündige intravenöse Dauerinfusion rasch Einzug in die Therapieleitlinien des akuten Koronarsyndroms gefunden. Niedermolekulare intravenöse GP IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten wie das zyklische Heptapeptid Eptifibatid (Integrilin®) und das Peptidomimetikum Tirofiban (Aggrastat®) folgten, waren aber in ihren Studienergebnissen weniger überzeugend. Auch in der konservativen Stabilisierung des akuten Koronarsyndroms („Cooling down“-Periode) war eine wichtige Indikation für diese Substanzen gesehen worden. Während jedoch die erste Studie mit Eptifibatid (PURSUIT) gerade noch signifikant zugunsten des GP IIb/IIIa-Antagonisten ausging, zeigte die spätere GUSTO IV-Studie im gleichen Patientenkollektiv sogar einen negativen Effekt für das Abciximab, wodurch die Abciximab-bezogene Euphorie bei der elektiven Koronarintervention ebenso wie beim akuten Koronarsyndrom deutlich attenuiert wurde. Weitere Untersuchungen wie ISAR REACT 2 zeigten darüber hinaus, dass auch bei der interventionellen Behandlung lediglich Troponin-positive Patienten von der Behandlung mit einem GP IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten gegenüber einer intensivierten dualen Plättchenhemmung mit Acetylsalicylsäure plus Clopidogrel mit intensivierter Sättigungsdosis (600 mg) profitieren (Abb. 4). Derzeit sollte der routinemäßige Einsatz der GP IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten daher lediglich bei Patienten mit NSTEMI oder STEMI erwogen werden. Inwieweit die neueren Thienopyridine mit besserer Plättchenaktivierungshemmung wie Prasugrel (Efient®) oder Ticagrelor auch hier zu einer weiteren Erodierung des Einsatzes der GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonisten führen werden, muss derzeit mangels dedizierter Studien offen bleiben.

Placebo-Gruppe Abciximab-Gruppe 20 Kumulation der primären Endpunkte (%)

so den Rezeptor. Sie können jedoch die Thrombozyten selbst nicht aktivieren. Im Gegensatz zum ausschließlich intravenös verabreichbaren Cangrelor, welches in zwei internationalen Studien die Erwartungen bisher nicht erfüllen konnte, konnte für Ticagrelor in der Plato-Studie eine ausgezeichnete Wirksamkeit im Vergleich zu Clopidogrel in Standarddosis nachgewiesen werden. Überraschenderweise geht die verbesserte Wirksamkeit des Ticagrelor mit einer signifikanten Verminderung der Blutungsnebenwirkungen einher. Als ADP-Analoga können diese neuen Thrombozytenhemmstoffe allerdings auch Nebenwirkungen des ADP wie Bronchospasmen und Bradykardien hervorrufen, was, sobald die Substanz für den klinischen Einsatz zur Verfügung steht, bei der rationalen Therapie berücksichtigt werden sollte. Eine erhöhte Sterblichkeit ebenso wie erzwungene Therapieabbrüche aufgrund symptomatischer Bradykardien wurden in der PLATO-Studie nicht beobachtet.

Troponin > 0.03 µg/L Log-Rank P=.02

15

10

Troponin ≤0.03µg/L Log-Rank P=.98

5

0 0

5

10

15

20

25

30

Tage nach der Randomisierung

Abb. 4: Ergebnisse der ISAR-REACT 2-Studie. Nur Patienten mit Troponin-positivem akutem Koronarsyndrom profitieren von einer zusätzlichen Therapie mit einem GPIIb/IIIa-Antagonisten (hier Abciximab). Kastrati A et al. JAMA 2006

Kardioforum 1 | 2010

23


Hemmstoffe der plasmatischen Gerinnungskaskade Heparine Standard-Heparine sind polysulfatierte Polyglykosaminglykan-Gemische mit sehr variablen Kettenlängen. Sie wirken als Aktivatoren des Antithrombins (ca. 100-fache Aktivierung), welches wiederum auf unterschiedliche Weise, aber in ungefähr gleichem Ausmaß u. a. die aktivierten Gerinnungsfaktoren IIa und Xa zu hemmen vermag. Die Molekülketten weisen ein Molekulargewicht zwischen 5000 und 30 000 D auf. Die kurzen Molekülketten mit einer Kettenlänge von < 12 Glykosaminglykanen können lediglich eine Verbesserung der AT III-vermittelten Faktor Xa-Inaktivierung bewirken, während Heparine mit Kettenlängen > 12 Glykosaminglykanen sowohl die AT III-vermittelte Inaktivierung von FXa als auch von FIIa verstärken können. Je kurzkettiger ein Heparin ist, desto stärker ist damit seine Wirkung in Richtung Faktor Xa-Hemmung verschoben. Da in der gesamten Gerinnungskaskade von der Initiationsphase bis zur Thrombinaktivierung eine ca. 1600fache Verstärkung erfolgt, ist dies für die grundsätzliche Heparinwirkung jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. Spätestens seit Beginn der 90er Jahre kann auch die Nützlichkeit zusätzlichen intravenös infundierten unfraktionierten Heparins mit dem Ziel der 1,5-fachen Verlängerung der Standard-aPTT als gesichert gelten. Für eine verlässliche Bioverfügbarkeit bedarf es beim Standardheparin der intravenösen Infusion. Niedermolekulare (fraktionierte) Heparine Aufgrund der verlässlichen Resorption aus dem subkutanen Gewebe und damit einfacheren Applizierbarkeit sowie der besseren Steuerbarkeit der Therapie haben die niedermolekularen (fraktionierten) Heparine – wie z. B. Certoparin (Mono-Embolex®), Dalteparin (Fragmin®), Enoxaparin (Clexane®), Nardoparin (Fraxiparin®), Reviparin (Clivarin®) und Tinzaparin (Inohep®) mit Molekulargewichten zwischen 2000 und 7000 D – die konventionellen Heparine auch bei der Therapie des akuten Koronarsyndroms weitgehend abgelöst. Dadurch erübrigt sich die lästige und aufwändige aPTT-Steuerung der Therapie. Jedes dieser niedermolekularen Heparine stellt aufgrund der unterschiedlichen molekularen Zusammensetzung und der unterschiedlichen Herstellungsverfahren grundsätzlich eine eigene pharmakologische Spezialität dar. Trotz dieser unterschiedlichen pharmakologischen Charakteristika können die niedermolekularen Heparine dabei, soweit sie in therapeutischen Dosen verabreicht werden, als vergleichbar wirksam und sicher angesehen werden. Allein für Enoxaparin konnte bei der konservativen Therapie des ACS eine Überlegenheit gegenüber der Therapie mit Standardheparinen nachgewiesen werden.

24

Kardioforum 1 | 2010

Von allen niedermolekularen Heparinen besitzt Enoxaparin (Clexane®) die längste Halbwertszeit. Da Heparine im Wesentlichen renal eliminiert werden, besteht daher insbesondere mit Enoxaparin bei Patienten mit renalen Funktionsstörungen eine hohe Kumulations- und damit verbunden eine erhöhte Blutungsgefahr. Die Standarddosierung von Enoxaparin beträgt 2 x 1 mg/kg KG s. c. Bei einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min wird daher eine Halbierung der üblichen Enoxaparin-Dosis (1 x 1 mg/kg KG s. c.) empfohlen. Die abnehmende renale Funktion ist auch bei zunehmendem Alter der Patienten zu berücksichtigen, wenn diese mit Enoxaparin behandelt werden sollen. Bei Patienten im Alter ab 75 Jahren sollte die Dosis daher um ein Viertel auf 2 x 0,75 mg/kg KG reduziert werden. Obwohl der erfolgreiche periinterventionelle Einsatz des Enoxaparin in mehreren prospektiven, randomisierten Studien nachgewiesen wurde, haben Dosierungsfragen, insbesondere wenn Patienten nacheinander niedermolekulare und unfraktionierte Heparine verabreicht werden sollen, zu einer großen Zurückhaltung gegenüber Enoxaparin in der interventionellen Kardiologie geführt. Heparinoide Heparinoide wie das Danaparinoid Natrium (Orgaran®) spielen heute ausschließlich bei der Behandlung von Patienten mit HIT-Syndrom eine Rolle. Sie weisen eine gewisse Kreuzreaktivität mit den Heparinen auf, weshalb bei diesen Patienten zunehmend auf die monoselektiv wirkenden Hirudine – Desirudin (Revasc®) und Lepirudin(Refludan®) – oder Hirudinanaloga – Argatroban (Argatra®) – ausgewichen wird. Ultrakleine Heparine und Heparinanaloga Die kleinste wirksame Heparineinheit stellt ein Glykosaminglykan-Pentamer dar. Fondaparinux (Arixtra®), ein synthetisches Glykosaminglykan-Pentamer mit hoher Halbwertszeit, ist erfolgreich bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom eingesetzt worden (OASIS IV- und OASIS VStudie). Die leitliniengerechte Standarddosis beträgt 1 x 2,5 mg/die s .c. Die Substanz weist bei der konservativen Behandlung der ACS-Patienten (OASIS V) und bei der Begleittherapie zur Fibrinolyse des akuten Herzinfarktes (OASIS VI) im Vergleich zu den anderen Heparinen eine vergleichbare Wirksamkeit bei erhöhter Sicherheit im Sinne einer Verminderung von therapieassoziierten Blutungen auf. Da Blutungskomplikationen beim akuten Koronarsyndrom eindeutig mit einer Verschlechterung der Prognose assoziiert sind (Abb. 5), ist es verständlich, dass in der längeren Nachbeobachtung ein signifikanter prognostischer Vorteil für die mit Fondaparinux behandelten Patienten entsteht. Diese Tatsache hat die frühzeitige Aufnahme des Fondaparinux in die Leitlinienempfehlungen für die kon-


Hirudin Der Prototyp aller Thrombinantagonisten ist das Hirudin, welches als Naturstoff aus Blutegeln gewonnen werden kann und heute noch in vielen Sportsalben etc. als Wirkstoff enthalten ist. Hirudin kann gentechnologisch gewonnen werden. Zwei gentechnologisch gewonnene Hirudinderivate, Lepirudin (Refludan®) und Desirudin (Revatio®), wurden in der Indikation akutes Koronarsyndrom und periinterventionelle Therapie geprüft. Leider haben die Ergebnisse der multizentrischen, randomisierten Studien nicht überzeugen können. Insbesondere die Schwierigkeit des Monitorings im Blut und damit verbunden die Schwierigkeit der Definition eines genauen therapeutischen Bereiches hat dazu geführt, dass die gentechnologisch gewonnenen Hirudinderivate heute nur noch bei Patienten mit HIT-Syndrom systematisch eingesetzt werden. Hirudinanaloga Argatroban (Argatra®) ist ein synthetisch hergestelltes Peptidanalogon, welches der Bindungssequenz des Hirudin nachempfunden ist und das aktive Zentrum des Thrombin reversibel zu binden vermag. Argatroban wurde erfolgreich in der periinterventionellen Begleittherapie und beim akuten Koronarsyndrom eingesetzt. Der Stellenwert des Argatroban beschränkt sich heute jedoch nahezu ausschließlich auf die Behandlung von Patienten mit HIT-Syndrom. Ein weiteres Hirudinanalogon stellt das so genannte Hirulog oder Bivalirudin (Angiox®) dar. Bivalirudin kopiert wie Argatroban die Bindungssequenz des Hirudin an das Thrombin. Über eine kurze Polyäthylenglykolkette (n=4) ist das aktivierte Keton PPACK an diese Peptidsequenz angekoppelt, die an die Exosite 1 des Thrombin bindet. Bivalirudin bindet so in erster Reaktion irreversibel an Thrombin, wird dann jedoch enzymatisch gespalten, woraufhin die Bindungscharakteristik sekundär in eine reversible Bindungskinetik übergeht. Bivalirudin ist ausschließlich intravenös einsetzbar und weist, einmal verabreicht, eine kurze Halbwertszeit von nur ca. 25 Minuten auf. Es muss daher als Bolus plus Dauerinfusion verabreicht werden, was den Vorteil nach sich zieht, dass nach Beendigung der Infusion

14.0 12.0 Sterblichkeit (%)

servative Therapie des akuten Koronarsyndroms nach sich gezogen. Ein durch Fraktionierung gewonnes Pentasaccharid-Heparin befindet sich derzeit in der klinischen Entwicklung. Häufig zu beobachtende Katheterthrombosen, die immer dann auftraten, wenn unter Therapie mit Fondaparinux eine Koronarintervention erforderlich wurde, machen periinterventionell eine zusätzliche Gabe von Standardheparin in Standarddosierung erforderlich. Anders als beim Enoxaparin ist unter der simultanen Therapie mit Fondaparinux und Standardheparin keine Erhöhung der Rate schwerer Blutungsereignisse beobachtet worden.

10.0 Blutung 8.0 6.0 4.0 2.0 keine Blutung 0.0 0

5

10

15

20

25

30

Tage

Abb. 5: Auswirkungen von Blutungsnebenwirkungen auf die Prognose der Patienten, die akut wegen eines akuten Koronarsyndroms stationär behandelt wurden. Metaanalyse der OASIS I & 2- und der CURE-Studie. Eikelboom JW et al. Circulation 2006; 114: 774-782

die Blutgerinnbarkeit innerhalb von ca. 2 bis 3 Stunden vollständig wieder hergestellt wird. Bivalirudin (Angiox®) wurde sehr erfolgreich in der periinterventionellen Therapie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom und NSTEMI (ACUITY) und akutem Herzinfarkt (HORIZONS) im Vergleich zu einer konventionellen Behandlung mit Heparin plus einem GPIIb/IIIa-Antagonisten (HORIZONS & ACUITY) bzw. in Kombination mit einem GP IIb/IIIa-Antagonisten (ACUITY) geprüft. Die alleinige Bivalirudin-Therapie erwies sich bezüglich der ischämischen Endpunkte dabei der Kombination aus Heparin plus GP IIb/IIIa-Antagonisten oder der Kombination zwischen Bivalirudin und einem GP IIb/IIIa-Antagonisten als nicht unterlegen, rief jedoch signifikant seltener Blutungsnebenwirkungen hervor. Nach 12 Monaten zeigte sich darüber hinaus bei den allein mit Bivalirudin behandelten Patienten ein Trend zugunsten seltenerer sekundärer Todesfälle – ein Effekt, der möglicherweise ebenfalls auf die selteneren Blutungsnebenwirkungen und somit auch seltener auftretenden negativen Langzeitfolgen zurückgeführt werden kann. Insbesondere bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (Patienten > 75 Jahren etc.) stellt die adjuvante Bivalirudin-Therapie eine sichere und wirksame Alternative zu den heute noch häufig eingesetzten GP IIb/IIIa-Antagonisten in Kombination mit konventionellem Heparin dar. Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass insbesondere Patienten mit begleitender Clopidogrel-Therapie von der Bivalirudin-Therapie profitieren, sodass die adäquate doppelte Thrombozytenhemmung mit ASS und Clopidogrel als notwendige Begleittherapie zu Bivalirudin angesehen werden sollten.

Neue orale Antikoagulantien Orale Thrombinhibitoren Ximelagatran stellte den ersten oral verfügbaren Thrombininhibitor dar. Bei der Substanz handelt es sich um eine

Kardioforum 1 | 2010

25


Prodrug, die oral resorbiert und durch Lebermetabolismus in den aktiven, hochpolaren Wirkmetaboliten umgewandelt wird. Ximelagatran wurde zunächst bei der tiefen Venenthrombose und beim Vorhofflimmern erfolgreich eingesetzt, erwies sich aber auch beim akuten Koronarsyndrom als wirksam. Der Lebermetabolismus war jedoch bei einigen Patienten mit einer starken Leberbelastung mit teils starken Erhöhungen der Leberenzyme assoziiert, die in seltenen Fällen ein Leberversagen hervorgerufen haben. Nach den ersten Todesfällen aufgrund eines Leberversagens, welches mit der Anwendung von Ximelagatran in Verbindung gebracht wurde, wurde die Substanz nach nur kurzer Zeit wieder vom Markt genommen. Dabigatran (Pradaxa®) ist ein weiterer oraler Thrombinantagonist mit molekularer Ähnlichkeit zum Ximelagatran. Aufgrund der hohen Polarität der Substanz beträgt die Bioverfügbarkeit lediglich ca. 6–7 %, dennoch erlaubt die Substanz das zuverlässige Erreichen von verlässlichen Wirkspiegeln. Es besteht eine pH-Abhängigkeit der Resorption, nicht aber eine Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme. Dabigatran wird zwischenzeitlich erfolgreich bei der Prävention tiefer Venenthrombosen in der orthopädischen Chirurgie eingesetzt. Bei der Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern zeigt die Substanz eine dem Marcumar mindestens vergleichbare (2 x 105 mg täglich) oder bessere Wirksamkeit (bei 2 x 150 mg täglich) bei mindestens vergleichbarer (2 x 150 mg täglich) oder besserer (2 x 105 mg täglich) Sicherheit vor therapieassoziierten Blutungen (RELY-Studie). Entgegen den Erwartungen ist die therapeutische Breite der Substanz

damit jedoch wie bei den Coumarinen relativ eng. Hepatische Nebenwirkungen sind mit Dabigatran, im Gegensatz zum Ximelagatran, bisher noch nicht berichtet worden. Die Ergebnisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (REDEEM-Studie) sind erst kürzlich auf dem American Heart Kongress vorgestellt worden und versprechen ebenfalls einen erfolgreichen Einsatz beim akuten Koronarsyndrom. Orale Hemmstoffe des Faktors Xa Der Prototyp der selektiven Faktor Xa-Hemmstoffe ist das Antikoagulans der Zecke (tick anticoagulant). Es diente zur Entwicklung niedermolekularer und oral verfügbarer F XaAntagonisten. Der erste solche Wirkstoff ist das Rivaroxaban (Xarelto®). Anders als die oralen Thrombinantagonisten weist Rivaroxaban eine hohe Bioverfügbarkeit von 60–80 % auf. Obwohl mit einer kürzeren Halbwertszeit ausgestattet als Dabigatran, erlaubt die gute Bioverfügbarkeit eine Entwicklung als einmal tägliche orale Medikation. Bisher wird die Substanz bereits erfolgreich zur Verhinderung thromboembolischer Komplikationen in der orthopädischen Chirurgie eingesetzt. Die Ergebnisse des Einsatzes zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern (ROCKET-AF) und bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ATLAS-ACS) werden in Kürze erwartet. Ein weiterer oral verfügbarer F Xa-Antagonist, Apixaban, zeigte sich beim akuten Koronarsyndrom gegenüber der Standardtherapie vergleichbar wirksam, hohe Blutungsraten haben die weitere Entwicklung der Substanz jedoch zumindest vorerst behindert.

Zusammenfassung: Weiterhin stellt ASS in einer Dosierung von 50–100 mg täglich die Basis der Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom dar. Zusätzlich empfehlen die Leitlinien bei allen Patienten, bei denen dies risikoarm durchzuführen ist, für mindestens 9 bis 12 Monate den Zusatz von Clopidogrel in einer Dosierung von 75 mg täglich. Alternativ kann bei Patienten ohne erhöhtes Risiko Prasugrel eingesetzt werden. Die Substanz erlaubt die zuverlässigere Erreichung des angestrebten Wirkspiegels und weist damit eine höhere Wirksamkeit bei gleichzeitig erhöhten Blutungsnebenwirkungen auf. Anders als Clopidogrel wird sie von der gleichzeitigen Gabe von Protonenpumpenhemmern nach derzeitiger Kenntnislage nicht beeinträchtigt. Die Heparine und Heparinanaloga wie beispielsweise Fondaparinux leisten über die Wirkung der Thrombozytenfunktionshemmer hinaus einen eigenständigen Beitrag zur Stabilisierung dieser Patienten. In der periinterventionellen Therapie des akuten Koronarsyndroms wird weiterhin zusätzlich zu ASS und Clopidogrel die intravenöse Gabe von Standardheparin als unverzichtbar erachtet. Die Bedeutung der zusätzlichen Gabe von GPIIb/IIIa-Antagonisten wie Abciximab, Eptifibatid oder Tirofiban ist zuletzt bei Patienten ohne Troponinerhöhung deutlich relativiert worden. Die von ihnen begünstigten Blutungsnebenwirkungen haben darüber hinaus einen negativen Effekt auf die Prognose. Bei nicht unterlegener Wirksamkeit ruft Bivalirudin als Monotherapie Blutungsnebenwirkungen in wesentlich verminderter Häufigkeit hervor, was sich in der Langfristprognose günstig auszuwirken scheint. Viele Interventionalisten haben begonnen, die von den Leitlinien empfohlene Gabe von GP IIb/IIIa-Antagonisten durch die leitliniengerechte Gabe von Bivalirudin zu ersetzen. Neue Thrombozytenaggregationshemmer wie das Ticagrelor oder der oral verfügbare Thrombinantagonist Dabigatran haben erste hoffnungsvolle Ergebnisse erbracht. Ihre Verfügbarkeit für den allgemeinen klinischen Einsatz kann in Kürze erwartet werden. Erste Daten für den ebenfalls oral verfügbaren FXaInhibitor Rivaroxaban stehen hingegen noch aus. Zahlreiche pharmazeutische Hersteller entwickeln derzeit weitere antithrombotische Substanzen, welche die Behandlung des akuten Koronarsyndroms weiter bereichern werden.

26

Kardioforum 1 | 2010


Versorgung des akuten Koronarsyndroms und Erfahrungen aus dem MyokardinfarktRegister Brandenburg Ein kooperatives Projekt in einer Region mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko Michael Oeff aut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts (www.destatis.de) verstarben im Jahr 2008 42 % aller Bundesbürger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, davon fast ein Fünftel an einem akuten Herzinfarkt. Erfreulicherweise sind diese Todeszahlen in den letzten Jahren rückläufig. Dies ist auf eine bessere Versorgung der Patienten mit neuen Methoden und Medikamenten, ein dichteres Netz aus Herzkatheterlaboren und eine bessere Patientenaufklärung zurückzuführen. In dieser Arbeit wird über das Vorgehen bei Verdacht auf einen akuten Myokardinfarkt bei entsprechender klinischer Symptomatik und die leitliniengerechten erforderlichen Maßnahmen sowie über einen Untersuchungsbericht aus unserem Bundesland Brandenburg mit einer im bundesdeutschen Durchschnitt erhöhten Infarktmortalität berichtet.

L

Definition Unter dem Begriff „akutes Koronarsyndrom“ werden drei verschiedene Manifestationen der koronaren Herzkrankheit zusammengefasst, die unmittelbar lebensbedrohlich sind und mit einer ungünstigen Prognose bei deutlich erhöhtem Risiko insbesondere für den plötzlichen Herztod einhergehen. Die Einteilung erfolgt nach EKG-Manifestation und dem Nachweis einer myokardialen Nekrose durch das Troponin in ST-StreckenHebungsinfarkt (STEMI), Nicht-STStrecken-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und instabile Angina pectoris.

Pathophysiologie Die unmittelbare Ursache des akuten Myokardinfarkts ist in den meisten Fällen

eine rupturierte Plaque, die nachfolgend zur Thrombusapposition führt. Die vulnerable Plaque besteht aus einem lipidreichen Kern, der viele inflammatorische Zellen enthält, und einer dünnen, fibrösen Kappe. Durch die Plaqueruptur kommt es zu einer akuten Verengung bis hin zum akuten Verschluss des betroffenen Koronargefäßes. Sie tritt unabhängig vom Stenosegrad des betroffenen Gefäßes auf, sodass nicht immer eine Angina pectoris vorausgehen muss. Andere, eher seltenere Ursachen für einen akuten Myokardinfarkt können Koronarspasmen, entzündliche Gefäßerkrankungen, Gerinnungsstörungen, Dissektionen oder Herztumoren sein.

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Michael Oeff Klinik für Innere Medizin I Städt. Klinikum Brandenburg Hochstr. 29 14770 Brandenburg an der Havel Tel.: 03381 41-1500 Fax: 03381 41-1509 oeff@klinikum-brandenburg.de www.klinikum-brandenburg.de

Zirkadiane Variabilität Ein Herzinfarkt und damit der plötzliche Herztod kann jederzeit auftreten. Es lässt sich allerdings eine tageszeitliche Rhythmik mit Häufung am Vormittag nachweisen, abhängig vom Zeitpunkt des Aufwachens. Zu dieser Zeit kommt es zu Veränderungen der Hämostase mit Zunahme der Gerinnungsaktivität des Blutes, zu Veränderungen der Hämodynamik mit Zunahme der Herzarbeit und Veränderungen von Herzfrequenzvariabilität, Blutdruck und koronarem Tonus. All dies kann die Plaquerupturen begünstigen.

Risikofaktoren Ursache eines akuten Myokardinfarktes ist in den meisten Fällen eine Atherosklerose der Koronargefäße. Diese kann durch kardiovaskuläre Risikofaktoren begünstigt werden. Zu diesen Risikofaktoren zählen u. a.: • arterielle Hypertonie

Kardioforum 1 | 2010

27


• Diabetes mellitus • Nikotinkonsum • Dyslipidämie • Adipositas • Stress, psychosoziale Faktoren • familiäre Belastung.

Ermittlung des individuellen Herzinfarktrisikos Auf der Basis prospektiver epidemiologischer Langzeitstudien wurden verschiedene Punktesysteme (Scores) entwickelt, mit denen unter Einbeziehung der bekannten Risikofaktoren eine individuelle Risikoabschätzung eines Herzinfarktes innerhalb der nächsten zehn Jahre erfolgt, z. B. PROCAM- (http://www.chdtaskforce.com/procam_interactive.html), GRACE-, Framingham- und Euro-ESCScore.

Geschlechtsunterschiede Bei Frauen kann die Symptomatik untypisch sein. Manche Frauen haben vor einem drohenden Infarkt keine oder nur geringe und atypische Beschwerden, oft allerdings mit weiteren Infarktsymptomen wie Dyspnoe, Schwäche, vegetative Veränderungen. Eine verspätete Alarmierung des Rettungsdienstes durch Frauen wurde in mehreren Studien nachgewiesen. Frauenspezifisch ist auch der starke Anstieg der Infarkt-Prävalenz nach der Menopause und durch den häufiger vorhandenen arteriellen Hypertonus. Die Infarkthäufigkeit bei Frauen hat sich in den letzten 40 Jahren versechsfacht. Dies ist unter anderem auf die orale Kontrazeption und den vermehrten Nikotinkonsum auch bei Frauen zurückzuführen.

Praktische Vorgehensweise Leitsymptom eines akuten Koronarsyndroms ist der akute retrosternale Schmerz in Ruhe (> 20 min), neu aufgetretene (de novo) schwere Angina pectoris, kürzlich erfolgte Destabilisierung einer stabilen Angina pectoris oder Angina pectoris nach Myokardinfarkt. Dies ist häufig verbunden mit thorakalem Engeund Druckgefühl und häufig in andere Gebiete ausstrahlend: in den linken Arm,

28

Kardioforum 1 | 2010

zwischen die Schulterblätter, in Unterkiefer und Oberbauch. Mögliche weitere Symptome sind Dyspnoe, Angst, vegetative Symptome, kalter Schweiß, Schwindel, Synkope und kardiogener Schock. Insbesondere bei Diabetikern können auch stumme, symptomlose Infarkte auftreten. Bei diesen Symptomen muss ein möglicher Myokardinfarkt unverzüglich medizinisch abgeklärt werden. Der Patient soll nach den Leitlinien und auch nach den Empfehlungen der Deutschen Herzstiftung „nicht bis zum nächsten Morgen warten, nicht bis zum Montag warten“, sondern sofort unter der Notfall-Nummer 112 bzw. (in Bayern) 19222 den Rettungsdienst rufen. Falls möglich, sollte bereits vor Ort durch den Arzt oder Rettungsdienst ein 12-Kanal-EKG geschrieben werden. Aber auch bei im EKG fehlenden Infarktzeichen ist ein Infarkt oder eine Ischämie nicht auszuschließen. Es muss unverzüglich eine Einweisung in die Klinik organisiert werden, mit ärztlicher Begleitung, um auf mögliche Rhythmuskomplikationen (Kammerflimmern, Herzstillstand) oder akute Dekompensation reagieren zu können. Die Wahl des Krankenhauses bestimmt sich aus der erforderlichen sofortigen Katheterintervention, sodass mitunter auch ein entfernter liegendes Krankenhaus vom Notarzt angefahren werden muss. Die telefonische Ankündigung des Patienten im Herzkatheterlabor verkürzt dabei signifikant die Zeit bis zur Intervention.

Ziel des akuten Monitorings und der Intervention Da auch bei kleineren Infarkten maligne ventrikuläre Tachyarrhythmien auftreten können, ist die sofortige Überwachung mittels EKG-Monitoring erforderlich. Damit kann bei Auftreten von Kammerflimmern der plötzliche Herztod durch Defibrillation verhindert werden. Durch die schnellstmögliche Revaskularisierung, in aller Regel durch Katheterintervention, wird die fortschreitende Myokardnekrose verhindert („time is myocardium“).


Medizinische Erstversorgung • Anamnese und Untersuchung • Oberkörper 30° hoch lagern, beengende Kleidung entfernen • den Patienten beruhigen • Messung der Vitalparameter • Auskultation von Herz und Lunge • venöser (normalerweise peripherer) Zugang • 12-Kanal-EKG • Monitoring, falls vor Ort möglich • im Fall von Bewusstlosigkeit Reanimation beginnen

70

Krankenhäuser mHKL

62,8

Krankenhäuser oHKL

60

50

40

33,8 31,4

30 20,7 20

18

16,8

14

10 2,4

Medikamente in der Ersttherapie (in Klammern Empfehlungsgrad) • Nitro s.l. (I-C), aber cave: Hypotonie • 500 mg Acetylsalicylsäure i.v. (I-A) • Clopidogrel 600 mg p.o. (I-A), wenn Akut-Koronarintervention vorgesehen (uploading) (IIa-B), alternativ: Prasugrel 60 mg p.o. • Bei dringender invasiver Strategie (STHebungs-Infarkt bzw. instabiler Koronarsituation): sofortige Antikoagulation mit UFH (Unfraktioniertes Heparin, 5000 IE Heparin i.v.) (I-C), alternativ: Enoxaparin 30 mg i.v., dann 1 mg/kg KG s.c. (IIa-B) oder Bivalirudin (I-B) • Bei nicht dringender Strategie: Fondaparinux (I-A), Enoxaparin (nur bei niedrigem Blutungsrisiko) (IIa-B), oder andere niedermolekulare Heparine oder UFH (IIa-B). • Falls eine PTCA durchgeführt wird: Fortsetzung der bisherigen Antikoagulation, wie z. B. UFH (I-C), Enoxaparin (IIa-B) oder Bivalirudin (I-B). Bei Fondaparinux-Vorbehandlung ist eine zusätzliche übliche Gabe von UFH erforderlich (Bolus von 50–100 IE/kg). (IIa-C). • Bei konservativer Strategie: Fortsetzung der Antikoagulation mit Fondaparinux oder Enoxaparin bis zur Krankenhausentlassung. (I-B) • Analgesie (z. B. Morphin 3–10 mg i.v.) • fakultativ Betablocker (z. B. Metoprolol 2,5-10 mg i.v.) (I-B), aber cave: AVBlock, Sinusbradykardie • fakultativ Antiemetika bei Übelkeit/Erbrechen • fakultativ Atropin 0,5 mg i.v. bei vagaler Reaktion, ggf. wiederholt

0 nur HK in 24H

nur Lyse in 24h

Lyse in 24h + HK

keine Reperfusion in 24h

Abb. 1: Therapiestrategien innerhalb von 24 Std. bei ST-Hebungsinfarkt (n=916 Patienten, siehe Text)

• Gabe von O2 über Nasensonde (4–8 l/min)

Akuter Thoraxschmerz: Abklärung in zertifizierter Chest-Pain-Unit (CPU) Im Städtischen Klinikum Brandenburg wurden die Strukturen in der Patientenversorgung in der Chest Pain Unit (CPU) durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung zertifiziert. Damit wurde eine weiterhin optimale, schnelle und strukturierte Versorgung von Patienten mit unklaren Thoraxschmerzen bestätigt. Es soll eine Reduktion der Infarktmortalität erzielt und durch rationelle Diagnostik und schnelleren Infarktausschluss die Liegedauer verkürzt werden. Eine zentrale Bedingung für eine CPU ist die ständige Verfügbarkeit eines Herzkatheterlabors (24 h an allen Tagen des Jahres).

Myokardinfarktregister Brandenburg Die Sterberegister und der „Herzbericht“ von Bruckenberger haben mit dem Nachweis der erhöhten Myokardinfarkt-Sterblichkeit in den neuen Bundesländern und insbesondere im Land Brandenburg unserem Bundesland die „Rote Laterne“ verpasst. Wir begannen daher im Jahr 2000 im Städtischen Klinikum Branden-

Kardioforum 1 | 2010

29


burg mit der Organisation und später der Durchführung des „Myokardinfarktregisters Brandenburg“ und konnten fast zwei Drittel der Akutkrankenhäuser im Land zur Teilnahme gewinnen, die auch von der neu gegründeten Brandenburgische Arbeitsgemeinschaft für Kardiologie e. V. koordiniert wurde. Fünf Krankenhäuser mit 24-h-Bereitschaft zur interventionellen Therapie im Herzkatheterlabor und 25 Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung ohne Herzkatheterlabor beteiligten sich an dieser auch vom Ministerium für Gesundheit unterstützten Studie. Wir stellen hier die seinerzeit erhobenen Daten zur Ergebnisqualität der Infarktversorgung in Brandenburg in Form der kompletten 1-Jahres-Nachverfolgung vor. Dabei waren uns die Erfassung der logistischen und zeitlichen Abläufe und der Therapiestrategien von besonderer Bedeutung: der prähospitalen Abläufe, nämlich die Zeit vom Symptombeginn bis zum Eintreffen im Krankenhaus und Beginn einer reperfundierenden Therapie (Thrombolyse oder akute perkutane koronare Intervention [PTCA]), sowie der Entscheidung zur Weiterverlegung für die Katheterintervention in Form der Notfall-PTCA. Die Nachbeobachtung zu schwerwiegenden Ereignissen und Mortalität nach einem Jahr erfolgte fast 100-prozentig! Derzeit erfolgt mit einigen der seinerzeit beteiligten Kliniken eine erneute Erhebung zur Ermittlung der Langzeiteffekte der Herzinfarktversorgung im Land Brandenburg. Daran sind namentlich neben dem Städtischen Klinikum Brandenburg in Brandenburg an der Havel als Koordinator die Kliniken in Bernau, Eberswalde, Frankfurt/O., Eisenhüttenstadt und Königs Wusterhausen beteiligt.

konsekutiv erfasst mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI), NichtST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und instabiler Angina pectoris. Es waren zwei Drittel Männer, die im Durchschnitt fast 10 Jahre jünger waren als die Frauen: 63±12 Jahre versus 72±12 Jahre bei Frauen. Etwa die Hälfte wurden in Krankenhäusern mit Herzkatheterlabor (mHKL) eingeschlossen, die anderen in Krankenhäusern ohne Herzkatheterlabor (oHKL).

Die Prähospitalphase Die mittlere Zeit, die vom Schmerzbeginn bis zum Eintreffen im Krankenhaus verging, betrug ca. 3 Stunden, war aber bei Frauen und Älteren deutlich länger. Mehr als ein Viertel aller Patienten erreichte die stationäre Aufnahme erst mehr als 6 Stunden nach Schmerzbeginn. Dabei waren nur zwei Drittel der Patienten mit dem Rettungsdienst transportiert worden; fast ein Fünftel kam sogar mit dem eigenen Fahrzeug, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß in die Klinik!

Therapie

Überlebensverteilungsfunktion

Deutliche Unterschiede waren bei den Therapiestrategien der STEMI zu beobachten: ob überhaupt und wenn ja, welche Strategien zur Reperfusion ergriffen wurden. Diese unterschieden sich stark, je nachdem, ob es sich um ein Krankenhaus mit oder ohne Herzkatheterlabor handelte. In Krankenhäusern mit Herzkatheterlabor erhielten 84 % der Patienten innerhalb von 24 h ohne oder mit vorheriger Lysetherapie eine invasive Diagnostik und ggf. Intervention, bei den verlegenden Krankenhäusern ohne Katheterlabor traf dies nur in 48 % der Fälle zu. Dafür erfolgte dort aber sehr viel häufiger eine Lysetherapie entsprechend den seinerzeit geltenden Leitlinien. Allerdings wurde bei insgePatienten und Methoden Es wurden 2391 Patienten mit akutem Koronarsyndrom samt 23,1 % (14 % mHKL vs 33,8 % oHKL) der Patienten überhaupt keine Reperfusion durchgeführt (Abb. 1)! Survivalkurven: STEMI nach Therapie Zwar unterschieden sich diese Patien1.00 ten signifikant hinsichtlich des Alters, des HK in 24h Geschlechts, der Vor- und BegleiterkranLyse in 24h + HK in 96h kungen sowie der Prähospitalzeit, denNur Lyse 0.75 noch wurde in diesem Studienzeitraum Anfang der 2000er Jahre noch zu wenig Keine reperfundierende Therapie in 24 h auf das Erfordernis der schnellstmögli0.50 chen Katheterrekanalisation geachtet. Die Wahl der Therapiestrategie hatte Log Rank p ≤ 0,001 allerdings einen deutlichen Einfluss auf das Überleben der Patienten. Die Kaplan0.25 Meier-Überlebenskurven von Patienten mit STEMI in Abbildung 2 zeigen, dass diejenigen, die eine Reperfusionstherapie 0.00 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 (Lyse oder Katheter) erhielten, deutlich FU Zeit bessere Überlebenschancen hatten als Abb. 2: Kaplan-Meier-Überlebenskurven von Patienten mit STEMI nach Therapieform Patienten ohne Reperfusion. Dabei

30

Kardioforum 1 | 2010


schnitten Patienten, die einen Herzkatheter und PTCA erhielten, noch deutlich besser ab als bei alleiniger Lysetherapie. Um den Einfluss der Faktoren Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Unterschiede in der Symptomatik und der Logistik zu kontrollieren, haben wir eine multivariate Analyse durchgeführt. Das Alter, das Geschlecht, die Vorerkrankungen und die Symptomatik bei Aufnahme haben einen signifikanten Einfluss auf die 1-Jahres-Mortalität. Doch unabhängig von diesen Faktoren hat die Akuttherapie einen bedeutenden Einfluss: Das Risiko, innerhalb eines Jahres zu versterben, war ohne reperfundierende Therapie doppelt so hoch!

Akutes Koronarsyndrom

Anamnese, Befund, 12-Kanal-EKG, Labor

N A W

Erstmedikation: ASS, Heparin, Clopidogrel, O2, Nitrate, Betablocker

NSTEMI/AP

• Troponin negativ • Beschwerdefreiheit • EKG ohne ST-Veränderung

C P U

Troponin und EKGKontrolle nach 4–6h

Troponin 2x negativ

S T A T I O N

STEMI

R S T

• Troponin positiv • EKG-Dynamik

• Beschwerdefreiheit • hämodynamisch stabil • Rhythmus stabil

• Persistierende AP • hämodynamisch instabil • Arrhythmien

Troponin 1x positiv

Konservative oder verzögert invasive Strategie: Heparin, Ischämiediagnostik, elektiver HK, weitere Differentialdiagnostik der Thoraxschmerzen

Früh-invasive Strategie: HK < 72h, Heparin, ggf. Gpllb/llla-Antagonist

Dringlich-invasive Strategie: Primäre PCI < 120 min, ggf. Gpllb/llla-Antagonist

H K L

Diskussion Einvernehmlich mit anderen, z.T. umfangreicheren Studien zur Versorgung des akuten Herzinfarktes ist auch aus unserer mit großem Engagement aller Beteiligten durchgeführten Brandenburger Studie die lebensrettende Bedeutung der Akutrevaskularisation durch die PTCA deutlich geworden. Dies konnte auch trotz nur zögernder Reaktion der Patienten und der längeren Anfahrtswege in der ländlichen Region nachgewiesen werden. Die hier dargestellten Befunde ergeben sich aus der Situationsanalyse der frühen 2000er Jahre. Die Ausstattung mit Herzkatheterlaboren in unserem Land hat sich ebenso wie die Umsetzung der Leitlinien für die Behandlung des akuten Koronarsyndroms verbessert.

Abb. 3: Flow-Chart der Entscheidungsabläufe beim akuten Koronarsyndrom

Hinsichtlich einer erneuten Erhebung zur Erfassung dieser Verbesserungen, möglichst unter Verwendung der routinemäßig erhobenen Qualitätsmarker, sind wir mit dem Ministerium des Landes Brandenburg im Gespräch. Die Analyse der Langzeitnachverfolgung der 2400 in diese Studie eingeschlossenen Brandenburger Bürger wird wie oben erwähnt derzeit durchgeführt und steht kurz vor dem Abschluss. Mit der strikten Einhaltung und den zügig umgesetzten Vorgaben der Leitlinien zur Behandlung des akuten Koronarsyndroms lassen sich trotz regionaler Besonderheiten in unserem Bundesland optimale Versorgungsstrukturen erreichen.

Zusammenfassung Bei akutem Brustschmerz muss ein möglicher Herzinfarkt differentialdiagnostisch erwogen und durch sofort eingeleitete Notfallmaßnahmen überwacht und behandelt werden. Dafür haben sich die frühzeitige Diagnosestellung bereits im Notarztwagen, die direkten Kommunikationswege mit unverzüglicher Benachrichtigung interventionell tätiger Katheterlabore mit Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst sowie die Einrichtung von Chest Pain Units (CPU) bewährt und zu einer optimalen Versorgung dieser Patientenklientel geführt. Das Brandenburger Myokardinfarktregister, eine kooperative multizentrische Studie der Mehrzahl der Akutkrankenhäuser im Land Brandenburg, hat den Überlebensvorteil der Akutrevaskularisation auch in diesem Flächenland gezeigt.

Kardioforum 1 | 2010

31


Versorgung von Patienten mit ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (STEMI) in Essen: Der Essener Herzinfarktverbund Thomas Budde für den Herzinfarktverbund Essen Der Essener Herzinfarktverbund wurde im September 2004 gegründet, um die leitliniengerechte Therapie des ST-Streckenhebungsinfarktes (STEMI) mittels primärer Koronarintervention (PCE), adäquater Begleitmedikation und enger Verzahnung zwischen prästationärer, stationärer und ambulanter Therapie in Essen als Großstadt flächendeckend zu etablieren. Der vorliegende Artikel berichtet über die Gründungsgeschichte des Herzinfarktverbundes Essen, seine Planung und Durchführung sowie die Ergebnisse der ersten drei Jahre des Projektes.

er Herzinfarktverbund Essen nahm seinen Ausgang in der Interessengemeinschaft Herz-Kreislauf-Medizin e. V. in Essen. Dieser freie Zusammenschluss aller kardiologisch tätigen Ärzte/-innen und Kliniken wie auch der internistischen Kliniken und Praxen in Essen hatte zunächst einmal zum Ziel, eine Koordination der Fortbildungsaktivitäten kardiologisch tätiger Ärzte/-innen und Einrichtungen in Essen zu erreichen (Tab. 1). Zuvor hatte es teilweise sogar zeitgleich Fortbildungsveranstaltungen in Essen gegeben, die sich mit vergleichbaren oder ähnlichen Themen beschäftigten. Vor diesem

D Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Thomas Budde Medizinische Klinik I/Kardiologie Alfried Krupp Krankenhaus Alfried-Krupp-Str. 21 45131 Essen Tel.: 0201 434-2524/2525 Fax: 0201 434-2376 thomas.budde@krupp-krankenhaus.de www.krupp-krankenhaus.de

Tabelle 1: Gründung der „Interessengemeinschaft Herz-Kreislauf-Medizin in Essen, Planung des Herzinfarktverbund Essen 1.9.1997: Gründung der „Interessengemeinschaft Herz-Kreislauf-Medizin in Essen“ • Zusammenschluss aller kardiologisch tätigen Ärzte aus kardiologischen Kliniken, internistischen Kliniken und Praxen • Ziel: Koordination von z. B. Fortbildungsaktivitäten, koordiniertes Vorgehen bei der Förderung der Forschung und der Betreuung der Patienten, gemeinsame Aktivitäten unter einheitlichem Erscheinungsbild 9.9.2002: Beschluss der IG, „Herzinfarktverbund“ zu gründen • Teilnehmer: Mitglieder der IG, Stadt Essen (Amtsarzt, Feuerwehr), Kostenträger • Ziel: flächendeckend einheitliche standardisierte, leitliniengerechte Therapie des ST-Streckenhebungsinfarktes in Essen, Dokumentation in einem Register

32

Kardioforum 1 | 2010

Hintergrund wurde die Notwendigkeit einer Abstimmung von allen Beteiligten gesehen. Die Interessengemeinschaft sollte sehr bald aber nicht nur die Fortbildungsaktivitäten, sondern auch flächendeckend die Forschung und Patientenbetreuung in Essen koordinieren und fördern. Gemeinsame Aktivitäten sollten zu einem einheitlichen Erscheinungsbild der Kardiologie in Essen führen. Innerhalb der Interessengemeinschaft wurden jeweils jährlich zwei Sprecher gewählt, von denen einer dem Klinikbereich und ein weiterer dem Bereich der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen angehörte.

Gründung des Herzinfarktverbundes Essen Da sich im Laufe der Zusammenarbeit der Umgang miteinander innerhalb der Interessengemeinschaft Herz-KreislaufMedizin in Essen sehr positiv entwickelte, erfolgte in einer Sitzung am 9.9.2002 der Beschluss, sich jetzt gemeinsam und flächendeckend in Essen exemplarisch mit einem speziellen Aspekt der Patientenversorgung anhand eines definierten Erkrankungsbildes zu beschäftigen. Es wurde beschlossen, ein Erkrankungsbild auszuwählen, das bezüglich der Anzahl der Patienten eine überschaubare Fallzahl erwarten ließ und darüber hinaus durch ein einheitlich anerkanntes Therapiekonzept gekennzeichnet sein sollte. Das Krankheitsbild des ST-Hebungsinfarktes erfüllte diese Voraussetzungen. Der Beschluss, den Herzinfarktverbund zu grün-


Tabelle 2: Herzinfarktverbund Essen – Chronologie der Gründung • Oktober 2002 1. Planungssitzung • Februar 2003 Information der Ärztlichen Direktoren der Essener Krankenhäuser • Mai – September 2003 Fertigstellung der Dokumentationsbögen • September – Dezember 2003 Fertigstellung des Handbuchs • März 2004 Festlegung des Regionalversorgungsplans • 1.9.2004 Start des Herzinfarktverbundes

den, erfolgte durch die Mitglieder der Interessengemeinschaft, die Vertreter der Stadt Essen (hier ganz besonders durch den Leitenden Amtsarzt der Stadt) sowie die Feuerwehr Essen. Besonders bemerkenswert und wichtig war es, dass bereits zu Beginn der Gründung des Herzinfarktverbundes die Kostenträger an der Planung beteiligt waren.

Konzeption Hauptziel des Herzinfarktverbundes sollte es sein, flächendeckend eine einheitliche, standardisierte und leitliniengerechte Therapie des ST-Streckenhebungsinfarktes in Essen zu erreichen. Die Aktivitäten des gesamten Versorgungsweges für den Patienten sollten koordiniert, dokumentiert und leitliniengerecht durchgeführt werden. Eine besondere Zielvorstellung war es, sehr früh und schnell zur Diagnose des STEMI zu kommen. Die Patienten sollten so schnell wie möglich einer Reperfusionstherapie zugeführt werden. Im Anschluss an die akute Phase im Krankenhaus sollte nach einer adäquaten Rehabilitationsbehandlung eine möglichst konsequente, qualitativ hochwertige Sekundärprävention initiiert werden. Diese sollte durch eine opti-mierte ambulante ärztliche Weiterbetreuung gesichert werden. Die besondere Herausforderung bestand in der Implementierung eines Netzwerkes von Krankenhäusern mit verschiedenen Versorgungsniveaus und Technologien. Diese soll-ten zu einem effizienten ambulanten Versorgungssystem zusammengeführt werden und dabei auch dasselbe Behandlungsprotokoll verwenden.

Organisatorische Ziele Als Ziele der Organisationmaßnahmen wurden u. a. formuliert, bei der Akutversorgung von STEMI-Patienten in-

nerhalb von weniger als zehn Minuten ein EKG zu übertragen, innerhalb von weniger als fünf Minuten zumindest eine Telekonsultation eines Expertenzentrums durch den Erstversorger zu ermöglichen und weniger als 120 Minuten Zeitverzögerung bis zur ersten Balloninflation bei der nachfolgenden perkutanen Koronarintervention (PCI) zu erzielen. Tab. 2 gibt die Chronologie der Gründung des Herzinfarktverbundes wieder. Es wurde besonderer Wert darauf gelegt, sämtliche Krankenhäuser in Essen früh in die Überlegung einzubeziehen, da durch den Infarktverbund einzelne bisher an der Infarktversorgung beteiligte Krankenhäuser Essens möglicherweise eine niedrigere Priorität der Patientenzuweisung erhalten würden und hier nur eine intensive Beteiligung am Planungsvorgang von Beginn an zu Akzeptanz führen konnte. Bei der Bereitstellung der Dokumentationsbögen wurde Wert darauf gelegt, trotz eines klaren Anspruchs an die Datenerhebung deren Praktikabilität nicht aus den Augen zu verlieren. Um einen einheitlichen Behandlungsprozess zu gewährleisten, wurde ein internetbasiertes „Herzinfarkthandbuch“ erarbeitet und fertiggestellt. Ein weiterer wesentlicher Eckpunkt des Durchführungskonzeptes war, dass der bis dato gültige Regionalversorgungsplan zugunsten eines „Herzinfarktversorgungsplans“ geändert werden musste, damit Patienten mit STEMI umgehend in ein Herzkatheterlabor überführt werden konnten. Nach zum Teil umfangreichen Verhandlungen und Überlegungen konnte der Herzinfarktverbund am 1.9.2004 planungsgemäß an den Start gehen. Tab. 3 zeigt die an der Gründung des Herzinfarktverbundes beteiligten Personen und Institutionen.

Tabelle 3: Gru ¨ ndungsmitglieder des Herzinfarktverbund Essen Prof. Dr.Th. Budde, Dr. M. Benn, Dr. J. Buchholz (Alfried Krupp Krankenhaus Essen) Prof. Dr. G. V. Sabin, PD Dr. Chr. Naber, Dr. B. Grosch (Elisabeth Krankenhaus Essen) Prof. Dr. B. Hailer, Dr. H. Schäfer (Philippusstift) Dr. R. Jacksch, (Dr. c. Wald) (Vinzenzhospital) (Katholische Kliniken Essen-NordWest) Prof. Dr. R. Erbel, PD Dr. S. Möhlenkamp (PD Dr. S. Phillip), (PD Dr. Ch. Naber), (Prof. Dr. M. Haude) (Universitätsklinikum Essen) Dr. E. Blank, J. Gronzki, Dr. H. Kosar (Medizinische Gesellschaft der Stadt Essen) A. Müller, Dr. N. Ophoff (für die niedergelassenen Kardiologen) Prof. Dr. R. Marx, (Dr. L. Benesch), Dr. W. Brenzel (für die Rehabilitation) R. Buchwitz (für die Kostenträger) Dr. R. Kundt (für die Stadt Essen) U. Bogdahn (für die Feuerwehr der Stadt Essen)

Kardioforum 1 | 2010

33


Symptomerkennung, Diagnose

Erstversorgung

Transport, Krankenhausaufnahme

Reperfusion

Akutkrankenhaus

Rehabilitation (amb./stat.)

Kardiologe

Hausärztliche Betreuung

Abb. 1: Patientenversorgung bei akutem Myokardinfarkt – Übersicht

Außendarstellung Der neu gegründete Herzinfarktverbund wurde u. a. durch ein spezielles Logo auch für die Bevölkerung erkennbar visualisiert. Es folgten Pressekonferenzen und Veranstaltungen zur Information der in Essen tätigen Ärzte wie auch der medizinischen Laien und Patienten. Den Bürgern der Stadt wurde der neue Herzinfarktverbund bekannt gemacht. Die öffentlichen Fahrzeuge der Stadt einschließlich Feuerwehr und Krankenwagen wurden mit dem Logo des Herzinfarktverbundes ausgestattet.

Organisatorische Voraussetzungen und Anforderungen Das Erkrankungsbild des ST-Hebungsinfarktes verlangt eine sehr schnelle Reaktionsweise. Es liegt in der Regel ein Komplettverschluss des entsprechenden Herzkranzgefäßes vor. Das Therapieziel ist eine möglichst schnelle Koronarangiographie und Stentversorgung des durch Katheterintervention eröffneten Gefäßes. Es gilt daher, in kurzer Zeit in dicht gedrängter Folge wichtige Versorgungs- und Therapieschritte zu realisieren und deren sicheres Funktionieren zu gewährleisten. Abb. 1 zeigt die wesentlichen Versorgungsschritte bei der Behandlung des STHebungsinfarktes. Der Infarktverbund hatte sich von Beginn an bewusst zum Ziel gesetzt, nicht nur die Organisationskette bis zur Reperfusion des Gefäßes, sondern auch die komplette Versorgung im Akutkrankenhaus, die anschließende Rehabilitationsbehandlung wie auch die nachfolgende ambulante Weiterversorgung durch den betreuenden Kardiologen oder Hausarzt in einem gesamten Modell strukturell abzubilden und zu organisieren.

Geänderte Notfallversorgungsbezirke Ein sicherlich wesentlicher Anteil der Konzeptionsarbeit war die Umstrukturierung der Zuwei-

34

Kardioforum 1 | 2010

sungsbezirke für die Essener Notfallversorgung. Ein allgemeiner Notfall- und Rettungsplan der Stadt Essen für die Versorgung von akut kranken Patienten wurde erstellt. In Essen besteht eine sehr hohe Hospitaldichte. Zwölf Krankenhäuser mit etwa 5500 Betten verteilen sich auf das Stadtgebiet. Fünf Herzkatheterlabore sind 24 Stunden lang einsatzbereit. Im Stadtgebiet von Essen existieren zwei Herzchirurgien. Auch eine ambulante und stationäre kardiologische Rehabilitation ist verfügbar. Zum Zeitpunkt der Gründung des Herzinfarktverbundes hatte Essen sieben Notarztwagenstandorte. Da aber bei zwölf Krankenhäusern und fünf Katheterlabors durchaus zahlreiche Kliniken vorhanden waren, die keine akute Herzkathetertätigkeit erbringen können, war es wichtig, besonders sorgfältige Vereinbarungen mit denjenigen Inneren Kliniken zu treffen, die selbst nicht invasiv tätig werden können, um auch die Patienten dieser Einrichtungen zu erreichen und eine optimale Versorgung mittels invasiver Maßnahmen gewährleisten zu können. Andererseits war es wichtig, den Kliniken verständlich zu machen, dass bei klarem Vorliegen eines STEMI mit dem Notarztwagen nicht wie bisher das nächstgelegene Krankenhaus angefahren wird, sondern das nächste Krankenhaus mit einem dienstbereiten Herzkatheterlabor Ziel der Not-

Tabelle 4: Innovative Aspekte, Herzinfarktverbund Essen • Vernetzung aller Versorgungsinstanzen einer Stadt für ein spezielles Erkrankungsbild • Primäre PCI für alle Patienten mit STEMI durch Netzwerk aller Kliniken • Krankheitsspezifische Abänderung des regionalen Versorgungsplans • Tele-Consulting • Modernste medizinische Verfahren (z. B. beschichtete Stents/MR) • Standardisiertes evidenzbasiertes Vorgehen („Herzinfarkthandbuch“) • Flexibilisierung der Kombination aus stationärer/Ambulanter Reha • Extrabudgetäre Bereitstellung der Medikation zur Sekundärprophylaxe • Flächendeckende Online-Übertragung des EKG aus dem NAW • Komplette EDV-gestützte einheitliche Erfassung aller Daten des Behandlungsprozesses • Wissenschaftliche Begleitung des Projektes • INTERNET-gestütztes Register, Follow-up nach 6 Mon./1 Jahr/3 Jahren • Festgelegte Kontrolluntersuchungen zur Ergebnisevaluation • Qualitätspartnerschaft der Beteiligten mit den Kostenträgern


Inhalt

Seite

1 Inhalt 1. Vorwort 2. Logistik der Akutsituation 3. Behandlungsrichtlinien für die Akutphase (NAW und Notaufnahme) 4. Checkliste: Initiale Untersuchung 5. Checkliste für die alternative oder adjuvante Therapie bei koronarer Intervention 6. Herzinfarktzeiten (Definitionen) 7. Herzmarker 8. Enzymatische Kriterien für die Diagnose eines Herzinfarktes 9. Initiale Behandlung – ST-Hebungsinfarkt 9 a. Interne Voraussetzungen zur Durchführung des Herzkatheters im Rahmen des Herzinfarktverbundes 9 b. Praktische Richtlinien zur Durchführung koronarer Intervention bei Infarktpatienten 9 c. Erfolgskontrolle der Reperfusionstherapie 10. Durchführung der Heparinisierung bei Patienten mit STEMI 11. Klinik des Herzinfarktes (Killip-Klassifizierung) 12. Wichtigste Differentialdiagnosen 13. Klinische Profile bei Infarktkomplikationen 14. Therapie der Herzinfarktkomplikationen 15. Herzinfarkt assoziierte Herzrhythmusstörungen 16. Antiarrhythmische Medikation bei Herzinfarkt assoziierten Herzrhythmusstörungen 17. Medikamentöse Sekundärprophylaxe 18. Rehabilitation Appendix 1 Indikationsklassen 2 Vergleich verschiedener fibrinolytischer Substanzen 3 Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen bei fibrinolytischer Therapie 4 Herzinfarktlokalisation

ASS. Heparin Beta-Blocker

STEMI

1 2 3 4 5 6 7 7 7 8 9 10 10 11 12 12 13 14 18 19 20 22 24 24 25 26 27

Schmerzereignis weniger als 24 Std. zurück

Schmerzereignis mehr als 24 Std. zurück persistierende Symptome

Koronarangiographie Koro nicht möglich Schmerzereignis < 12 Std.

ja

Koro und Lysenicht möglich nein

PTCA möglich

OP-Befund

Intervention

ACB OP

keine Revaskularisation

konservative Therapie evtl. elektive Diagnostik

Fibrinolyse

zusätzliche Medikation ACE-/CSE-Hemmer Antithrombotische Therapie

Abb. 2: Herzinfarkthandbuch Essen, Inhaltsverzeichnis

Abb. 3: Exemplarischer Versorgungsalgorithmus

arztwagenfahrt ist. Im März 2004 wurde der neue Rettungs-Notfallversorgungsplan für Patienten mit STEMI verabschiedet. Die Stadt Essen wurde proportional zur Einwohnerzahl in vier Quadranten eingeteilt, innerhalb derer die Versorgung durch fünf invasiv tätige Zentren erfolgt.

spricht. Modernste medizinische Verfahren sind in das Vorgehen ebenso integriert wie eine Flexibilisierung der Kombination aus stationärer und ambulanter Reha. Ein standardisiertes evidenzbasiertes Vorgehen wurde in einem Herzinfarkthandbuch hinterlegt, das im Internet für alle Beteiligten zur Verfügung steht. Abb. 2 zeigt das Inhaltsverzeichnis des „Herzinfarkthandbuchs Essen“. Abb. 3 zeigt exemplarisch den Versorgungsablauf für STEMI-Patienten, der leitliniengerecht und nach aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen erstellt wurde. Die einheitliche Erfassung aller Daten des Behandlungsprozesses erfolgt EDV-gestützt, das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Es existiert ein internetgestütztes Register mit dokumentierten Followup-Untersuchungen nach sechs Monaten, einem Jahr und nach drei Jahren. Die Kontrolluntersuchungen sind festgelegt. Jedes Mitglied der Versorgungskette hat die Aufgabe, für den Patienten in optimierter Weise den weiteren Behandlungsverlauf sicherzustellen.

Integriertes Versorgungskonzept Das Konzept des Herzinfarktverbundes wurde mit den Kostenträgern als Integrationsversorgungsprojekt vertraglich vereinbart. Es enthält zahlreiche, über die bisherige Versorgungsstruktur hinausgehende innovative Aspekte, die in Tab. 4 zusammengefasst sind. So ist es durch den Herzinfarktverbund in Essen erstmals gelungen, alle Versorgungsinstanzen einer Stadt für die Versorgung von Patienten mit STEMI zu einem einheitlichen Versorgungskonzept zu verpflichten. Auch war und ist es Ziel, alle Patienten mit STEMI einer perkutanen Koronarintervention zuzuführen, da dies der leitliniengerechten Therapie des STEMI ent-

Altersgruppen

Geschlecht (n=1365)

300 männlich

weiblich

258

255 250

weiblich 381 27,9 %

213 200

männlich 984 72,1 %

141

150

117 100 75

71

80

58 36

50 7

1

36 9

3

5

0 < 30

30–39

40–49

50–59

60–69

70–79

80–89

>90

Abb. 4: Alters- und Geschlechtsverteilung der Patienten

Kardioforum 1 | 2010

35


% 70

65,4

N=1365

60 52,1 50 40,4 40

30 21,4 20

10

0 Hypertonie

Diabetes

Rauchen

Hyperlipidämie

Abb. 5: Risikofaktoren - Verteilung

Ergebnisse der Akut- und Langzeittherapie der ersten drei Jahre In der Zeit vom 1.9.2004 bis 31.8.2007 wurden insgesamt 1365 Patienten mit STEMI behandelt. Die Gesamtanzahl der Patienten verteilt sich etwa gleichmäßig auf die drei Jahre (489/428/448 Patienten). Das durchschnittliche Alter der Infarktpatienten (Abb. 4) lag in vergleichbaren Kollektiven für Männer niedriger als für Frauen. Der Anteil der Frauen an Infarktpatienten betrug etwa ein Drittel. Die vertretenen Altersgruppen entsprachen vergleichbaren Kollektiven, wobei (ebenfalls in Übereinstimmung mit Vergleichskollektiven) die Maximalanzahl der Frauen mit Herzinfarkt in einer höheren Altersgruppe lag als bei Männern. Erwartungsgemäß handelt es sich bei den Patienten mit STEMI um ein Hochrisikokollektiv. Die Risikofaktoren in ihrer Häufigkeit sind in Abb. 5 dargestellt. Ca. zwei Drittel der Patienten waren Hypertoniker, ca. die Hälfte der Patienten hatte eine Hypercholesterinämie. Ca. ein Fünftel der Patienten war Diabetiker. Auch die

Infarktlokalisation

Anzahl der Raucher lag deutlich oberhalb der Quote in der Normalbevölkerung. Zum Zeitpunkt des Auftretens des STEMI hatten 14 % der Patienten bereits eine Koronarintervention hinter sich. 13 % der Patienten hatten bereits früher einen Herzinfarkt erlitten. 5 % der Patienten waren bereits bypassoperiert. Nicht-kardiale Manifestationen im Sinne eines erlittenen Schlaganfalles lagen bei etwa 5 % der Patienten anamnestisch vor. 7 % der Patienten hatten eine periphere arterielle Verschlusskrankheit. Abb. 6 gibt die Infarktlokalisation, die Häufigkeit der durchgeführten Angiographien, die Häufigkeit der perkutanen Koronarinterventionen und deren Erfolg wider. Hinterwandinfarkte waren gegenüber Vorderwandinfarkten häufiger vertreten. Es gelang durch die Organisation des Herzinfarktverbundes, 98 % einer Angiographie zuzuführen und 92 % einer perkutanen Koronarintervention zu unterziehen. Diese war in 95 % der Fälle erfolgreich. Präinterventionell hatten 57 % der Patienten einen TIMI-FLUSS 0, knapp 35 % der Patienten einen TIMI-FLUSS I und II. Nach der Intervention konnte bei 92 % der Patienten ein TIMI-FLUSS III festgestellt werden. Erstaunlicherweise erfolgte der Transport ins Krankenhaus nur bei 42 % der Patienten durch den Notarzt. Andere Zugangswege wie Verlegungen, Selbsteinweisungen oder späteres Erscheinen über Arztpraxen lag in immerhin 58 % der Fälle vor. Abb. 7 gibt die jeweiligen Zeitintervalle wieder, die einem „Real World„-Szenario entsprechen. Der Median der Zeit des Erstkontaktes bis zur Balloninflation liegt innerhalb des von gülti-

PCI

Angiographie

Erfolgreiche PCI 7,9%

1,7 %

4,8%

7%

43,2 % 98,3%

49,8%

AMI

IMI

LMI

ja

92,1%

nein

ja

Abb. 6: Infarktlokalisationen und invasive Prozeduren bei der Infarktbehandlung

36

Kardioforum 1 | 2010

95,2%

nein

ja

nein


tienten in diesem Zusammenhang auf 14,7 %. Die Entwicklung der Mortalitäten über die drei Beobachtungsjahre zeigt einen gewissen Anstieg sowohl der inhospitalen als auch der posthospitalen Mortalität, wobei die posthospitale Mortalität im dritten Beobachtungsjahr wieder teilrückläufig war. Genaue Ursachen für diese Entwicklung sind der Datenanalyse noch nicht zu entnehmen. In Übereinstimmung mit anderen Publikationen ist festzustellen, dass generell die Mortalität für Frauen höher war als für Männer und darüber hinaus mit zunehmendem Alter anstieg. Dies ist sowohl für die In-Hospital-Mortalität als auch für die Post-Hospital-Mortalität als auch für die 1-JahresMortalität gültig.

Min. 250 218 200

150

100

134

98

90

51

Median Mittelwert

60

50 16 20

Sy m pt om iz in er e s i s Ko c te – nt he r ak r t ed

m

D o ba or llo -to on -

Pu nk t Ba ion llo – n

Ko m nt ed ak izi e t – nis rs Ba ch ter llo er n

0

Abb. 7: Zeit bis zur Balloninflation

gen Leitlinien vorgesehenen Wertes, wenngleich im Einzelfall noch Zeitüberschreitungen vorkommen. Der sehr lange Zeitraum vom Symptombeginn bis zum ersten medizinischen Kontakt muss auch weiterhin Ermunterung sein, durch Laien- und Patientenaufklärung dafür zu sorgen, die Prähospitalzeit möglichst zu verkürzen. Zum Zeitpunkt der Einlieferung ins Krankenhaus befanden sich 12 % der Patienten in einem Schockzustand und 13 % der Patienten waren wiederbelebt worden. Die Gesamt-In-Hospital-Sterblichkeit betrug 9,2 % (Abb. 8). Die Gesamtmortalität belief sich bei den 1365 Pa-

126 9,2 %

1239 90,8 %

lebend

tot

Abb. 8: In-Hospital-Sterblichkeit

Zusammenfassung: Das Modell des „Herzinfarktverbundes Essen“ hat als eines der ersten STEMI-Netzwerke in einer größeren Stadt gezeigt, dass die Implementierung eines standardisierten Therapiekonzeptes unter Verwendung einer einheitlichen Behandlung und unter Verwendung einer primären PCI für ein gesamtes Stadtgebiet flächendeckend möglich ist. Hierfür wurde der Herzinfarktverbund Essen im Jahr 2007 mit dem mit € 100 000,- dotierten „Innovationspreis Ruhrgebiet“ ausgezeichnet. Die Teilnehmer des Herzinfarktverbundes Essen fühlen sich auch durch die aktuellen Infarktleitlinien bestätigt, die zu einer Bildung derartiger Netzwerke ermuntern. Seit Gründung des Herzinfarktverbundes Essen haben sich auch im übrigen Bundesgebiet zahlreiche weitere Netzwerke zur Betreuung von Infarktpatienten formiert. Für den Erfolg solcher Netzwerke ist die Dokumentation und Analyse der Daten extrem wichtig. Sie ist auch dazu erforderlich, die eigene Strategie kontinuierlich zu optimieren. Die oben genannten Daten zeigen den realen Alltag und sind mit Registerdaten nicht vergleichbar. Dies war aber auch nicht Ziel des Herzinfarktverbundes Essen. Es war vielmehr insbesondere die Absicht, das Funktionieren und die Probleme eines alltäglichen und routinemäßigen Versorgungssystems in Angriff zu nehmen und zu überarbeiten. Wenngleich der Herzinfarktverbund Essen sicher noch Optimierungspotenzial (z. B. bezüglich der Zeitintervalle bis zur Balloninflation oder bis zur Krankenhausaufnahme) bietet, hat sich doch aus Sicht der Akteure die Einrichtung dieses Versorgungssystems für die Essener Bürger überaus bewährt.

Kardioforum 1 | 2010

37


Fraktionelle myokardiale Flussreserve zur online-Bestimmung der hämodynamischen Relevanz von Koronarstenosen: Klinische Anwendung im Herzkatheterlabor Alessandro Cicco, Ernst G. Vester

ie selektive Koronarangiographie ist nach wie vor der Goldstandard in der Diagnostik der KHK. Mithilfe dieses Verfahrens werden die Anatomie der Koronargefäße sowie Lage und Ausmaß von atherosklerotischen Stenosen der epikardialen Arterien dargestellt. Allerdings stellt die Koronarangiographie nur das Lumen der Koronargefäße dar, die jeweilige funktionelle Bedeutung einer Koronarstenose kann dadurch nicht quantifiziert werden. Gerade die hämodynamische Relevanz einer atherosklerotischen Einengung stellt aber den wichtigsten prognostischen Faktor bei Patienten mit einer nachgewiesenen KHK dar. In der DEFER-Studie konnte bei Patienten mit angiographisch dokumentier-

D Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Ernst G. Vester Evangelisches Krankenhaus Klinik für Kardiologie Kirchfeldstraße 40 40217 Düsseldorf Tel.: 0211 919-1866 Fax: 0211 919-3955 kardiologie@evk-duesseldorf.de www.evk-duesseldorf.de

Konzept der fraktionellen Flussreserve (FFRmyo) Vom koronaren Druck zum koronaren Fluss: FFRmyo =

Q=

maximaler myokardialer Fluss in Anwesenheit einer Stenose normaler maximaler Fluss (ohne Stenose)

(Pd - Pv) R FFRmyo = Q QN

QN =

(Pa -Pv) R

QN: normaler maximaler myokardialer Fluss (ohne Stenose) Q: maximaler Fluss in Anwesenheit einer Stenose R: myokardialer Widerstand unter max. Vasodilatation Pa: aortaler Mitteldruck (unter Hyperämie) Pv: zentral-venöser Mitteldruck Pd: distaler koronarer Druck (unter Hyperämie

Abb. 1

38

FFRmyo = Pd Pa

FFRmyo = (Pd -Pv) (Pa - Pv)

Kardioforum 1 | 2010

Definition

R

Pa

Pd

ten Stenosen der epikardialen Gefäße ohne funktionelle Bedeutung eine jährliche Rate von Tod oder Myokardinfarkt von ca. 1 % gezeigt werden (1). Andererseits stellen Stenosen, die eine Ischämie des Myokards verursachen, aber unbehandelt bleiben, ein 12-fach höheres Risiko für den Patienten dar, in den kommenden zwölf Monaten einen Infarkt zu erleiden oder daran zu versterben (2). Eine nichtinvasive Ischämie-Diagnostik wird jedoch im Alltag nur bei einer Minderheit der Patienten durchgeführt. Dadurch, dass der angiographische Schweregrad einer Stenose wenig geeignet ist, um ihre funktionelle Bedeutung zu beurteilen, werden in der Praxis oft inadäquate Entscheidungen bezüglich einer koronaren Revaskularisation getroffen, wenn die Morphologie der Stenose als alleiniger Parameter berücksichtigt wird (3). Nur die Akquisition morphologischer und funktioneller Daten erlaubt eine gezielte und adäquate Behandlung von Patienten mit vermuteter oder bekannter KHK. In diesem Sinne stellt die invasive Messung der fraktionellen myokardialen Flussreserve (FRRmyo) die beste Möglichkeit im Katheterlabor dar, die angiographisch definierte Anatomie durch physiologische Parameter zu ergänzen und zu integrieren.

Pv

Die fraktionelle myokardiale Flussreserve ist definiert als das Verhältnis zwischen dem maximalen Blutfluss zum Myokard distal der Stenose und einem hypothetischen Normalfluss im selben Gefäß ohne Stenose (4). Mit anderen Worten gibt die FRRmyo an, um welchen Anteil die myo-


kardiale Perfusion durch das Vorliegen einer epikardialen Stenose limitiert ist. Eine FFR von 0,70 bedeutet demnach, dass der maximale myokardiale Blutfluss nur 70 % von seinem normalen Wert erreichen kann.

Vom Druck zum Fluss

Tabelle 1: Epikardiale und mikrovaskuläre Vasodilatation Epikardiale Vasodilatation NTG 200 Mikrogramm Bolus ic 30 sec. vor der ersten Messung Mikrovaskuläre Vasodilatation Adenosin oder ATP ic Papaverin ic Nitroprussid ic Adenosin oder ATP iv

Obwohl die FFR als Flussverhältnis definiert wird, kann sie aus einem Druckverhältnis abgeleitet werden, vorausgesetzt die Drücke werden unter der Bedingung einer maximalen Hyperämie registriert. Theoretisch kann dieses Druck-Fluss-Verhältnis wie folgt erklärt werden (Abb. 1): 1. Die FFR ist das Verhältnis zwischen dem hyperämischen Blutfluss distal der Stenose (Qsmax) und dem normalen hyperämischen Blutfluss (Qnmax) FFR = Qsmax / Qnmax 2. Der Fluss (Q) ist das Verhältnis zwischen dem koronaren Druckunterschied (P) und dem Widerstand (R). Q kann demnach wie folgt ersetzt werden: FFR = (Pd - Pv) / Rsmax / (Pa - Pv) / Rnmax 3. Unter den Bedingungen einer maximalen Hyperämie sind die Widerstände minimal und somit gleich und können deshalb annulliert werden: FFR = (Pd - Pv) / (Pa - Pv) 4. Schließlich ist Pv im Vergleich zu Pa oder zu Pd vernachlässigbar: FFR = Pd / Pa

Pa Pd

+ Druckdraht

= FFRmyo

Papaverin/Adenodin

Abb. 2: Erforderliche Ausrüstung für die FFR-Messung

50 Mikrogramm ic Bolus 8 mg in die RCA, 12 mg in die LCA 0,6 Mikrogramm/kg Bolus 140 Mikrogramm/kg/min (vorzugsweise über einen ZVK)

Praktische Aspekte der FFR-Messung (Abb. 2) Nach Möglichkeit sollten 6F-Führungskatheter (ohne Seitenlöcher) verwendet werden. Der Einsatz diagnostischer Katheter ist theoretisch denkbar, dadurch wäre jedoch eine eventuell erforderliche Intervention nicht machbar. Der Patient sollte gewichtsadaptiert heparinisiert werden, wobei eine ACT von 250 s anzustreben ist. Ein spezieller 0,014-in.-Druck-Fluss-Führungsdraht ist für die intrakoronare Druckmessung erforderlich. Der Drucksensor befindet sich 3 cm proximal der flexiblen Spitze, die bei Bedarf in üblicher Weise vorgebogen werden kann. Zwei gleichwertige Druckdrähte befinden sich derzeit auf dem Markt, der Pressure Wire von Radi Medical Systems und der Volcano Wave Wire von Volcano Inc., beide hinsichtlich ihrer Steuerbarkeit mit den herkömmlichen Führungsdrähten vergleichbar. Der Druckdraht wird so weit eingeführt, dass der Mess-Sensor am distalen Ende des Führungskatheters liegt: Jetzt wird ein Druckabgleich zwischen den gemessenen Druckwerten über den Führungskatheter und den Führungsdraht durchgeführt. Die Erzielung einer maximalen Vasodilatation und Hyperämie sowohl der epikardialen als auch der kleinen Widerstandsgefäße ist während des Messvorgangs von eminenter Bedeutung. Hierfür stehen Präparate zur Verfügung, deren Eigenschaften in Tabelle 1 dargestellt sind. Die intrakoronare Gabe von Nitraten ermöglicht die Aufhebung jeglicher Form epikardialer Vasospasmen. Ebenso wichtig ist die Induktion einer maximalen Hyperämie durch eine Adenosin-vermittelte mikrovaskuläre Dilatation, klinisch erkennbar z. B. an einem Flush, thorakalen Beklemmungsgefühl oder intermittierenden AV-Blockierungen. Aus praktischer Sicht ist die intrakoronare Gabe von Adenosin attraktiv, weil die Messungen schnell durchgeführt und bei Bedarf nach kurzer Pause auch wiederholt werden können, wobei auf eine venöse Schleuse verzichtet werden kann. Von Nachteil ist jedoch, dass bei der in-

Kardioforum 1 | 2010

39


Tabelle 2: Grenzwerte für die FFR Autoren

Ref.

Test

Schwelle

De Bruyne et al. Pijls et al. Pijls et al. Bartunek et al. Abe et al.

Circulation 1995 Circulation 1995 N Eng J Med 1996 J Am Coll Cardiol 1996 Circulation 2000

Ergometrie Ergometrie Ergometrie, MSZG Dobutamin-Echo MSZG

0,72* 0,74* 0,75* 0,78* 0,75*

*100% Spezifität

trakoronaren Gabe von Adenosin lediglich statische Messungen durchführbar sind, da die maximale Vasodilatation nur Sekunden anhält. Darüber hinaus kann die Anwendung eines Führungskatheters mit Seitenlöchern dazu führen, dass Teile des Medikaments in der Aorta verloren gehen, mit der Folge einer unzuverlässigen Messung, mit Unterschätzung des Druckgradienten und Überschätzung der FFR. Kann man auf einen Führungskatheter mit Seitenlöchern nicht verzichten, sollte Adenosin i. v. infundiert werden. Hierbei lassen sich dynamische Messungen durchführen, welche bei seriellen Stenosen oder diffusen Veränderungen den Zustand des gesamten Gefäßes zeigen. Es

kann nicht ausdrücklich genug betont werden, dass es eine „Baseline-FFR“ nicht gibt! Selbst in Anwesenheit eines breiten Ruhegradienten empfehlen wir die Induktion einer maximalen Hyperämie, weil nur so die residuale Widerstandsreserve evaluiert werden kann. Ein typisches Beispiel einer intrakoronaren Druckmessung ist in Abb. 3 dargestellt.

Besonderheiten der FFR Diverse besondere Merkmale machen die FFR zu dem am besten geeigneten Instrument, um die funktionelle Beurteilung einer Koronarstenose zu ermöglichen und eine adäquate klinische Entscheidung im Katheterlabor zu treffen. Die FFR hat einen Normalwert von 1 bei jedem Patienten und in jedem Herzkranzgefäß. Da es in einem normalen epikardialen Gefäß selbst unter den Bedingungen einer maximalen Hyperämie so gut wie keine Druckabnahme gibt (5), wird das Verhältnis zwischen dem distalen koronaren Druck und dem aortalen Druck gleich oder sehr nah an eins sein.

Abb. 3: Simultane Druckmessung über den Führungskatheter (P1) und über den Messdraht (P2) in Ruhe und nach Adenosin-induzierter Hyperämie.

40

Kardioforum 1 | 2010


Exercise Test

Thallium Scan

Dobut. echo 0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

1

Positive Test Negative Test

Abb. 4: FFR-Plots bei 45 Patienten mit angiographisch intermediären Stenosen, den Ergebnissen der nicht-invasiven Verfahren entsprechend. Die Tests wurden nur als positiv betrachtet, wenn sie vor der Revaskularisation positiv waren und danach negativ. Von den 21 Patienten mit einer FFR < 0,75 zeigten nur vier übereinstimmende Ergebnisse der nicht-invasiven Verfahren (Wijns et al. (3)).

Ein Grenzwert von 0,75 (0,80 bei Mehrgefäßerkrankung) unterscheidet eine funktionell bedeutende von einer nicht relevanten Läsion. Stenosen, die eine FFR < 0,75 aufweisen, sind fast ausnahmslos mit einer myokardialen Ischämie assoziert, während Stenosen, die eine FFR > 0,80 aufweisen, fast nie in der Lage sind, eine belastungsinduzierte Minderdurchblutung zu induzieren (Tabelle 2). Zwischen einer FFR von 0,76 und 0,79 gilt es, einen sogenannten „Graubereich“ zu berücksichtigen: In einer solchen Situation empfehlen wir, auf die Durchführung einer PTCA zu verzichten, falls es sich um eine Eingefäßerkrankung handelt, klinisch der Patient beschwerdefrei ist oder nur atypische Beschwerden zeigt und ein sonstiger Ischämie-Nachweis fehlt. Bei typischer Angina pectoris und / oder positivem Ischämie-Nachweis sollte die perkutane Intervention durchgeführt werden. Die FFR wird nicht von der systemischen Hämodynamik beeinflusst. Änderungen von Blutdruck, Herzfrequenz und linksventrikulärer Kontraktilität haben keinen Einfluss auf die FFR in einer gegebenen Koronarstenose (6). Darüber hinaus sind die gemessenen FFR-Werte in höchstem Maße reproduzierbar, zum einen aufgrund der Tatsache, dass der distale koronare Druck und der aortale Druck simultan gemessen werden, zum anderen wegen der Fähigkeit seitens der

Mikrovaskulatur, wiederholt mit einer identischen Gefäßerweiterung auf die pharmakologische Stimulation zu reagieren. Die FFR berücksichtigt den Beitrag der Kollateralen. Aus der Perspektive des Herzmuskels ist es gleichgültig, ob der Blutfluss antegrad über die epikardialen Gefäße stattfindet oder retrograd über Kollateralen. Der distale koronare Druck während einer maximalen Hyperämie spiegelt sowohl den antegraden als auch den retrograden Fluss wider entsprechend ihrem jeweiligen Beitrag. Die FFR bringt spezifisch den Schweregrad der Stenose mit der perfundierten Herzmuskelmasse in Verbindung. Je größer die durchblutete Region, desto größer der hyperämische Fluss und demnach desto größer der Gradient und desto niedriger die FFR. Das erklärt, warum eine Stenose mit einer minimalen Querschnittsfläche von 4 mm2 eine ganz unterschiedliche hämodynamische Relevanz hat, je nachdem, ob die proximale RIVA betroffen ist oder der zweite Marginalast. Die FFR hat eine unvergleichliche räumliche Auflösung. Die exakte Position des Sensors in der Koronararterie kann jederzeit angiographisch kontrolliert und dokumentiert wer-

Kardioforum 1 | 2010

41


Anwendungsmöglichkeiten FFR bei angiographisch fraglich relevanten Stenosen Druckdraht im distalen LAD Die wichtigste Einsatzmöglichkeit für die FFR ist die präzise Beurteilung der funktionellen e h Ru Auswirkung einer KoronarsteFFR nose mit fraglicher hämodyna=0,70 mischer Relevanz. In einer Studie an 45 Patienten mit angiographisch unklaren Stenosen Ad en konnte gezeigt werden, dass os in * die FFR hämodynamisch wirksame Läsionen viel genauer erkennen konnte, als dies mit Ergometrie, Myokardszintigraphie *40 µg ic und Stressechokardiographie möglich war. Darüber hinaus sind die Ergebnisse der nicht-invasiven Abb. 5a: Hämodynamische Relevanz einer mittelgradigen proximalen LAD-Stenose Funktionsprüfungen manchmal diskrepant, was die klinische Entscheidungsfindung zusätzlich erschweren kann (Abb. 4). Druckdraht in RD1 Schließlich haben Patienten, bei denen aufgrund einer FFR-Messung die perkutane Intervention zurückgestellt worden war, e einen günstigen klinischen VerRuh lauf. Bei solchen Patienten beFFR trägt das Risiko für Tod oder =0,87 Myokardinfarkt ca. 1 % pro Jahr und wird nicht durch eine PCI vermindert (1). Ad en os Diese Daten rechtfertigen in unserer Meinung nach den Einsatz der FFR im Katheterlabor, um die Interventionsbedürftigkeit einer intermediären Läsion zu beurteilen. Abb. 5a und 5b zeigen zwei Abb. 5b: Beispiel einer hämodynamisch nicht signifikanten RD1-Stenose angiographisch ähnliche Stenosen, die jedoch eine völlig unden. Das Zurückziehen des Druckdrahtes nach Induktion terschiedliche hämodynamische Bedeutung haben. einer maximalen Hyperämie erlaubt die „Online“-Messung eines pathologischen Widerstandes des arteriellen Seg- FFR bei Hauptstammläsionen ments, lokalisiert zwischen Führungskatheter und Sensor. Eine relevante Stenose im linken Hauptstamm hat eine kriWährend andere Funktionstests eine Genauigkeit auf tische prognostische Bedeutung. Umgekehrt führt die Revaskularisation einer nicht sigPatientenebene erreichen (Belastungs-EKG) oder im besten Fall auf Gefäßebene (MSZG), erreicht die FFR eine Ge- nifikanten Hauptstammstenose zu einer Atresie des Connauigkeit auf segmentaler Gefäßebene bei einer räumli- duits selbst dann, wenn die LITA verwendet wird. Zudem ist der Hauptstamm angiographisch schwer zu beurteilen chen Auflösung von wenigen Millimetern.

42

Kardioforum 1 | 2010


und die Aufnahme der Tracersubstanzen im Myokardszintigramm kann in allen Versorgungsgebieten herabgesetzt sein („ausgewogene Ischämie“) mit der Folge eines falsch negativen Befundes (7). In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die FFR-Bestimmung in Hauptstammläsionen einfach und sicher ist und die Entscheidung, nicht zu operieren, bei einer FFR > 0,80 adäquat und sicher ist (8). Deshalb sollte bei Patienten mit einer mittelgradigen Hauptstammstenose eine Integration des morphologischen Befundes durch eine physiologische Untersuchung erfolgen, bevor die Entscheidung, den Patienten zu revaskularisieren, getroffen wird. FFR bei Mehrgefäßerkrankung Patienten mit einer Mehrgefäßerkrankung stellen ein sehr heterogenes Kollektiv dar. Koronarstenosen variieren sehr stark nicht nur im Hinblick auf ihre Zahl und Lokalisation, sondern auch in Bezug auf ihre anatomische Komplexität, wobei oft eine Diskrepanz besteht zwischen der anatomischen Beschreibung und der objektivierbaren funktionellen Relevanz. Ein Patient kann zum Beispiel angiographisch eine Dreigefäßerkrankung haben, jedoch nur zwei hämodynamisch signifikante Stenosen. Eine Revaskularisierungsstrategie, welche die funktionelle Relevanz einer Stenose stärker berücksichtigt als das rein angiographische Erscheinungsbild, kann dazu beitragen, Kosten zu reduzieren und eine chirurgische Revaskularisation zu vermeiden. Diesbezüglich konnte in der FAME-Studie gezeigt werden, dass eine FFRgesteuerte PTCA bei Patienten mit Mehrgefäß-KHK das Risiko von Tod, Myokardinfarkt oder erneuter Revaskularisation um 30 % senkt, verglichen mit der gängigen Praxis der Angiographie, also der morphologisch gesteuerten PTCA (9, 14) (Abb. 6).

FAME: Adverse events at one year End point

Angiography-guided PCI, n=496 (%)

Death, MI, CABG, or repeat PCI 18.3 Death

3.0

MI

8.7

Death or MI

11.1

CABG or repeat PCI

9.5

Abb. 6: aus Tonino et al. (9)

FFR bei In-Stent-Restenosen Die Messung der FFR ist auch bei der Evaluation von InStent-Restenosen von großem Nutzen. Gerade in solchen Situationen ist die angiographische Quantifizierung oft unzuverlässig und die physiologische Bewertung außerordentlich wertvoll. Es scheint derselbe Schwellenwert zu gelten wie für nicht restenotische Läsionen. FFR bei Bifurkationsstenosen Die Darstellung und die interventionelle Behandlung von Koronar-Bifurkationsstenosen stellen nach wie vor eine Herausforderung dar. Nach einer Stentimplantation im Hauptgefäß zeigt sich oft angiographisch eine höhergradige Einengung im Bereich des Ostiums des Seitenastes. In einer Studie von Koo et al. (10) wurde gezeigt, dass in solchen Fällen das angiographische Bild nicht der physiologischen Wertigkeit entspricht, denn in keiner dieser eingeschätzten hochgradig ostialen Stenosen (> 75 %) wurde eine FFR < 0,75 gemessen. Somit neigen solche Stenosen dazu, angiographisch überschätzt zu werden, wobei eine gezielte Messung der FFR in solchen Fällen dazu beitragen kann, unnötige Interventionen zu vermeiden.

FFR bei seriellen Stenosen Bei Vorliegen von mehreren Stenosen im selben Gefäß, kann die FFR abschnittsweise im Gefäß wiederholt bestimmt oder durch Rückzug des Druckdrahtes die Relevanz einzelner Stellen im Gefäßverlauf abgeschätzt werden. Die Bedingungen einer maximalen Hyperämie, die lange genug anhält, um ein solches Manöver zu erlauben, werden durch intravenöse Gabe von Adenosin geschaffen (140 Mikrogramm/kg/min). Als Zugangsgefäß ist die Vena femoralis zu empfehlen, weil die Zeit-Wirkungs-Beziehung weniger variabel ist im Vergleich zu einer Infusion über eine periphere Vene. Im klinischen Alltag wird der Rückzug des Drückdrahtes nicht so oft praktiziert, weil man die wiederholte Passage einer Stenose mit dem Draht vermeiden möchte. Bei dem zurzeit häufig verwendeten FFR-guided PCI, p 0,014-in.-Druckdraht befindet sich der n=509 (%) Drucksensor 3 cm proximal der Spitze, so dass der Rückzug ausgeführt werden 13.2 0.02 kann, ohne dass der Draht in seiner gesamten Länge zurückgezogen werden 1.8 0.19 muss, was eine erneute Passage der Ste5.7 0.07 nose zur Folge hätte. Die Rückzugs-Technik ermöglicht die einwandfreie Identifi7.3 0.04 kation der exakten Lage und der physiologischen Bedeutung von seriellen Ste6.5 0.08 nosen, wobei die hämodynamisch relevanteste zuerst behandelt wird. Nach einer erneuten FFR-Messung kann ent-

Kardioforum 1 | 2010

43


Abb. 7: Bei einer fokalen Stenose bleibt der Druckgradient hoch und konstant.

Bei einer diffusen Atherosklerose nimmt der Druckgradient beim Zurückziehen des Drahtes allmählich ab.

schieden werden, ob die residualen Stenosen dilatiert werden sollen oder nicht.

FFR in speziellen Situationen FFR nach einem Myokardinfarkt Nach einem abgelaufenen Infarkt zeigt sich in dem betroffenen myokardialen Gebiet eine Abnahme von vitalem Gewebe, oft begleitet von einer Beeinträchtigung der Widerstandsgefäße, die auf vasodilatierende Stimuli abnorm reagieren können. Nichtdestotrotz scheint die FFR in der Lage zu sein, eine reversible Ischämie zuverlässig in solchen partiell infarzierten Arealen identifizieren zu können (11). Eine FFR > 0,80 eine Woche nach einem Myokardinfarkt weist darauf hin, dass auf eine Intervention verzichtet werden kann, selbst in Anwesenheit einer angiographisch höhergradigen Stenose. Eine Herabsetzung des pe-

FFR bei einer diffusen KHK Autoptische Befunde und mithilfe des IVUS erzielte Beobachtungen zeigen übereinstimmend, dass die Atherosklerose und die KHK nicht als segmentale bzw. lokalisierte Erkankungen einzelner Gefäßabschnitte, sondern als generalisierte, chronisch-entzündliche Gefäßerkrankungen anzusehen sind. Eine diskrete Stenose in einem ansonsten normalen Gefäß ist daher relativ selten. Liegt eine diffuse Koronarsklerose vor, so führt diese zu einer Abnahme des distalen Perfusiondruckes (5) auch ohne angiographisch erkennbare fokale Läsion. Ab einer bestimmten Belastungsstufe kann die eingeschränkte Koronarreserve zu einer myokardialen Ischämie führen. Die damit verbundenen pektanginösen Beschwerden werden jedoch bei fehlendem koronarangiographischen Nachweis einer fokalen Stenose nicht selten als nicht-koronaren Ursprungs bezeichnet und das Myokardszintigramm als falsch positiv befundet! Nur ein sorgfältiger Rückzug des Drucksensors unter maximaler Hyperämie ist in der Lage, die hämodynamische Auswirkung einer diffusen Atherosklerose Abb. 8: Rückzug in den RIVA unter maximaler Hyperämie aufzuzeigen (Abb. 7 und 8).

44

Kardioforum 1 | 2010


ripheren Abflusses findet aufgrund der myokardialen Nekrose und der mikrovaskulären Störung statt. Demzufolge kann kein signifikanter Gradient entstehen, selbst auf dem Boden einer anatomisch relevanten Läsion. FFR bei linksventrikulärer Hypertrophie Bei der linksventrikulären Hypertrophie besteht oft ein Missverhältnis zwischen linksventrikulärer Muskelmasse und Mikrozirkulation, deren Zunahme im Vergleich zum hypertrophierten Muskelgewebe nicht ausreichend erscheint (12). Das ischämische Potenzial einer Stenose kann in einer solchen Situation durch die FFR-Messung unterschätzt werden. Obwohl ein spezifischer Schwellenwert für Patienten mit linksventrikulärer Hypertrophie noch nicht eingeführt worden ist, sollte dieser unserer Meinung nach höher als 0,75 angesiedelt werden, möglicherweise eher bei 0,80. FFR und Endotheldysfunktion Die endotheliale Dysfunktion im Sinne einer reduzierten endothel-abhängigen Vasodilatation geht strukturellen Gefäßveränderungen wie der manifesten Arteriosklerose voraus; es kann demzufolge postuliert werden, dass die große Mehrheit der Patienten, bei denen eine FFRBestimmung durchgeführt wird, einen gewissen Grad an endothelialer Dysfunktion aufweist.

Dies impliziert zum einen, dass alle FFR-Messungen nach intravasaler Gabe von Nitroglycerin, einem endothel-unabhängigen Vasodilatator, durchgeführt werden müssen, um das Risiko einer paradoxen Vasokonstriktion zu minimieren; auf der anderen Seite kann eine ausgeprägte Endotheldysfunktion eine paradoxe belastungsabhängige Vasokonstriktion hervorrufen und somit relativ seltene Fälle von belastungsinduzierter Ischämie, obwohl im Katheterlabor nach intrakoronarer Gabe von Nitraten eine FFR > 0,80 gemessen wird (13). FFR in Bypassgefäßen Die Bestimmung der FFRmyo lässt nicht nur eine klare Beurteilung des Zustandes der epikardialen Gefäße, sondern auch der Bypassgefäße zu. Ist das Nativgefäß verschlossen, wird die FFR wie üblich gemessen. Falls das Nativgefäß noch offen ist, sollte der Mess-Sensor distal der Anastomose platziert werden. Das Fehlen eines signifikanten distalen Druckabfalls (FFR > 0,80) bedeutet, dass das Nativgefäß, der Graft oder beide zusammen funktionell ausreichend perfundiert sind und eine PCI nicht indiziert ist. Andererseits spricht ein pathologischer Wert (FFR < 0,80) für eine unzureichende Versorgung über das Nativgefäß und den Bypass, so dass in dieser Situation die PTCA des Nativgefäßes oder des Bypasses, je nachdem was einfacher erreichbar erscheint, indiziert wäre.

Zusammenfassung Die angiographische Erscheinung epikardialer Koronarstenosen steht nicht immer in Korrelation zu ihrer pathophysiologischen Relevanz. Bei der visuellen Beurteilung von Koronarstenosen besteht somit die Tendenz, den Schweregrad sowohl zu hoch als auch zu niedrig einzuschätzen. Die FFR-Bestimmung bietet die Möglichkeit, während der Prozedur zu beurteilen, welche Läsionen Ursache der Ischämie sind, welche einen Stent benötigen und welche unversorgt bleiben können. Die Erzielung einer maximalen Hyperämie ist essenziell für die Auswertung der intrakoronaren Druckmessung und für die korrekte Berechnung der FFR. In folgenden Situationen ist die Indikation zur intrakoronaren Druckdrahtmessung besonders sinnvoll: bei morphologisch intermediären Stenosen, bei V. a. Ostium- und Hauptstammstenosen als Ergänzung bei nicht eindeutiger oder u. U. fehlender Ischämiediagnostik und zur Differenzialtherapie mehrerer Stenosen bei Ein- und Mehrgefäßerkrankung.

Literatur Die Literaturliste finden Sie im Internet unter www.kardioforum.com

Kardioforum 1 | 2010

45


Die EKG-Kolumne von Dieter Gonska

Fall 1 Eine 56-jährige Patientin klagt nach einem Infekt über Palpitationen.

EKG, Belastungs-EKG, Echokardiogramm und Röntgenbild des Thorax waren unauffällig. Ebenso die klinische Untersuchung. Langzeitelektrokardiografisch fand sich eine Bradykardie. Mit der Frage, ob eine Schrittmacherindikation notwendig ist, erfolgte die Vorstellung der Patientin in unserer Klinik. Während der Durchführung des Langzeit-EKGs verspürte die Patientin die Beschwerden. Die während dieser Symptomatik aufgenommene Arrhythmie ist in Abbildung 1 dargestellt. Auf den ersten Blick fällt eine AV-Leitungsstörung auf. Es besteht ein AV-Block 1. Grades mit einer PQ-Zeit von 0,24 Sek. Es findet sich eine Pause, die durch den Ausfall eines QRS-Komplexes bedingt ist. Scheinbar liegt eine Überleitungsstörung im Verhältnis von 2:1 vom Vorhof auf die Kammer vor. Handelt es sich nun um einen AV-Block 2. Grades Mobitz Typ I (Wenckebach-Periodik) oder um einen AV-Block 2. Grades(Mobitz Typ II)? Diese Frage zu beantworten, ist oftmals sehr schwierig. In dem dargestellten Fall handelt es sich um eine Wenckebach-Periodik (AV-Block 2. Grades Typ I). Hierfür ist ein einfaches EKG-Kriterium zu beachten: Die PQ-Dauer vor dem Ausfall ist länger als die PQ-Dauer nach dem Ausfall. Wenckebach-Periodiken müssen nicht mehrere Herzaktionen umfassen, sondern können sehr kurz sein und bedürfen gelegentlich sehr weniger Vorhofaktionen. Das Auszirkeln der PQDauer vor und hinter der Pause bestätigt die Diagnose. Da es sich in diesem Falle um eine harmlose (suprahissäre) Blockierung handelt, ist eine Schrittmacherindikation nicht gegeben. AV-Blockierungen 2. Grades Typ Mobitz II und AV-Blockierungen 3. Grades sind infrahissäre Blockierungen organischen Ursprungs und sind, wenn es sich nicht um eine reversible Ursache handelt, eindeutig schrittmacherpflichtig. Dies bestand im vorliegenden Fall nicht. Die von der Patientin geschilderten Palpitationen sind darüber hinaus durch die isolierten supraventrikulären Extrasystolen harmlos erklärbar (Abb. 2 und 3).

LZ-EKG 08:08:48 fehlender QRS

574

N

N

581

593

N

(1-min-HF = 99)

N

598

N

601

N

1178

631

N

N

595

N

605

N

610

616

N

N

Abb. 1

LZ-EKG 15:47:07 fehlender QRS

882

N

891

N

(1-min-HF = 69)

p = blockierte SVES

N

876

N

1178

N

854

848

N

848

N

N

Abb. 2

LZ-EKG p = blockierte SVES

23:20:05fehlender QRS

811 N

801 N

804 N

N

Abb. 3

46

Kardioforum 1 | 2010

761

797

1599 N

N

(1-min-HF = 74)

764 N

773 N

N

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe Südendstraße 32; 76137 Karlsruhe Tel.: 0721 8108-3168; Fax: 0721 8108-3170 prof.gonska@vincentius-ka.de; www.vincentius-ka.de


Fall 2 Ein 65-jähriger Patient klagt aus völliger Ruhe heraus über eine schlagartig auftretende Tachykardie. Pulsfrequenz 202/Min. Hämodynamische Stabilität.

Aus der Anamnese ist erwähnenswert: Durchführung eines Aortenklappenersatzes 1990, vorbestehende intraventrikuläre Erregungsleitungsstörung mit einem Rechtsschenkelblock. Abbildung 4 zeigt das EKG, das in der Notaufnahme aufgenommen wurde (auswärtiges Krankenhaus). Es liegt eine regelmäßige Tachykardie mit einer Pulsfrequenz von 202/Min. vor, Lagetyp überdrehter Linkstyp, Rechtsschenkelblock, fehlende Konkordanz der Brustwandableitungen. Die P-Wellen sind erkennbar, befinden sich in der „S“Zacke des Kammerkomplexes und sind regelmäßig nachweisbar. Es ergeben sich theoretisch drei Möglichkeiten: 1. ventrikuläre Tachykardie mit retrograder Leitung 2. Vorhofflattern mit 2:1- Leitung 3. AV-nodale Reentry

Die Wahrscheinlichkeit einer ventrikulären Tachykardie (Faszikeltachykardie) ergibt sich aufgrund der Vorgeschichte. Eine retrograde Leitung wäre hier möglich aufgrund der Frequenz. Ein Vorhofflattern mit 2:1-Leitung ist unwahrscheinlich, da hierbei eine Vorhoffrequenz von 400/Min. zu erwarten wäre, und dies entspricht nicht mehr der Definition des Vorhofflatterns. AV-nodale Reentry: Bisher war keine Rhythmusstörung dieser Art bei dem Patienten nachweisbar. Er ist 65 Jahre alt. Das entspricht nicht dem Häufigkeitsgipfel dieser Tachykardie. Die invasive elektrophysiologische Untersuchung klärte die Diagnose. Es handelt sich um eine ventrikuläre Tachykardie mit retrograder VA-Leitung. Eine Ablation wurde durchgeführt und war erfolgreich.

Tachykardie-EKG

Abb. 4: Patient: männlich, 65 Jahre


Katheterablation bei Vorhofflimmern – die Therapie der Zukunft? Sechstes „Update on Atrial Fibrillation“ in Coburg Marion Zerbst

ie Behandlung des Vorhofflimmerns ist nach wie vor problematisch. Die Antiarrhythmika-Therapie geht mit zahlreichen, teils gravierenden Nebenwirkungen einher und ist nicht immer wirksam. Wegen des erhöhten Schlaganfallrisikos müssen Patienten, bei denen keine dauerhafte Kardioversion gelingt, lebenslang mit Antikoagulanzien behandelt werden. Neue, bessere Therapieoptionen für diese wachsende Patientengruppe sind also dringend erforderlich. Schon seit einigen Jahren gewinnt das Verfahren der Katheterablation zunehmend an Bedeutung. Die Erfolgsrate steigt steil an; Umfragen zeigen, dass immer mehr Zentren inzwischen auch schon Patienten mit persistierendem, aber auch permanentem Vorhofflimmern und verschiedensten kardialen Begleiterkrankungen erfolgreich abladieren. Dennoch gibt es noch viele offene Fragen. Bei welchen Patienten ist eine Katheterablation sinnvoll? Wie hoch ist das Rezidivrisiko? Ist nach erfolgreicher Ablation eine weitere Antikoagulation erforderlich? Führende Experten aus allen fünf Kontinenten gingen diesen Fragestellungen beim sechsten Internationalen Vorhofflimmer-Symposium am 23. und 24. April 2010 in Coburg nach. „Wir haben in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte gemacht“, erklärt Professor Johannes Brachmann, Leiter der kardiologischen Abteilung des Klinikums Coburg und Organisator des alle zwei Jahre stattfindenden Symposiums. „Als wir unser erstes Update on Atrial Fibrillation veranstalteten, steckte die Katheterablation noch in den Kinderschuhen; heute wird sie zunehmend als wichtiges Behandlungsverfahren anerkannt.“

D

48

Kardioforum 1 | 2010

Rezidivrate höher als erwartet Zurzeit laufen mehrere große Studien, die den Langzeitwert dieser Methode belegen sollen. Neueste Ergebnisse wurden auf dem Symposium vorgestellt. Wie ein roter Faden zog sich durch viele dieser Vorträge die Erkenntnis, dass die Rezidivrate nach erfolgreicher Katheterablation höher ist als erwartet. So mussten sich beispielsweise im Rahmen des EinJahres-Follow-ups des Deutschen Ablationsregisters 21 % der Patienten einer erneuten Katheterablation unterziehen. In der 60 Patienten umfassenden Pilotstudie zur CABANA-Studie („Catheter ABlation versus ANtiarrhythmic Drug Therapy in Atrial Fibrillation”) war die Ablation der medikamentösen Therapie zwar hinsichtlich der Rate symptomatischer Vorhofflimmerrezidive überlegen; doch in der Häufigkeit asymptomatischer Rezidive gab es zwischen den beiden Studienarmen kaum einen Unterschied. Das wirft natürlich die Frage auf, wie man beim Langzeit-Monitoring und bei der Antikoagulation nach erfolgreicher Katheterablation vorgehen soll – denn gerade asymptomatische Patienten (und deren Ärzte) könnten sich hinsichtlich des Schlaganfallrisikos sehr leicht in falscher Sicherheit wiegen. „Hier stellt sich die Frage: Wie definiert man ein Rezidiv? Bei vielen Patienten, die bis zum Zeitpunkt der Ablation unter häufigen, schweren Rhythmusstörungen gelitten haben, tritt hinterher vielleicht noch alle sechs Monate ein Wiederholungsereignis auf. Das ist natürlich kein hundertprozentiger Therapieerfolg, aber klinisch gesehen doch eine deutliche Verbesserung“, erklärte Symposiumspräsident Johannes Brachmann. „Deshalb wird inzwischen auch


sehr intensiv darüber nachgedacht, ob wir nicht klinische Endpunkte benötigen, die die Realität der Beschwerden oder des Einzelerfolges besser beurteilen helfen. Ein solcher Endpunkt könnte die Gesamtbelastung durch Vorhofflimmern (an-stelle des bloßen Wiederauftretens eines Ereignisses) sein.“ Ferner spielt natürlich die Erfahrung des jeweiligen Zentrums eine wichtige Rolle: „Es ist durchaus möglich, dass sich in den hohen Rezidivraten auch eine erhebliche Lernkurve widerspiegelt.“ Eine weitere noch offene Frage ist das langfristige Monitoring von Patienten nach einer Ablation: Hierfür stehen momentan Langzeit-EKGs und implantierbare Ereignisrecorder zur Verfügung. Per EKG lassen Vorhofflimmerepisoden sich natürlich nicht lückenlos dokumentieren. Doch auch die Ereignisrecorder haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Die XPECT-Studie, die die Ergebnisse von Langzeit-EKG und Eventrecorder miteinander verglich, ergab, dass die Spezifität der Recorder zu wünschen übrig lässt: Sie zeigen viele falsch positive Ereignisse an. Und auch mit der Sensitivität steht es nicht gerade zum Besten: Kurze Vorhofflimmerepisoden entgehen den Geräten häufig. Außerdem sind sie teuer, und ihre Implantation ist nicht ohne Risiko. Wie soll man also verfahren? „Ich denke, wir werden auch hier zu anderen, nichtinvasiven Methoden übergehen müssen, die uns einen besseren Überblick über das Wiederauftreten von Rhythmusstörungen geben“, meint Brachmann. „Möglicherweise kommt man mit MRT-Untersuchungen hier eher weiter als mit einer kontinuierlichen Überwachung der Patienten.“

Auf dem Weg zu einer individualisierten Therapie Tatsächlich erweist die MRT sich in der Vorhofflimmerdiagnostik als großer Hoffnungsträger und könnte in Zukunft eine sehr viel maßgeschneidertere Therapie dieser Herzrhythmusstörung ermöglichen. Neue Untersuchungen zeigen, dass Patienten, die sehr viel Narbengewebe im linken Vorhof aufweisen, ein besonders hohes Schlaganfallrisiko haben. „Solche Patienten könnte man per MRT frühzeitig erkennen und einer Katheterablation zuführen, die in

Johannes Brachmann, Coburg

Anil-Martin Sinha, Coburg

diesem frühen Erkrankungsstadium natürlich besonders erfolgversprechend ist“, erklärte PD Dr. med. Anil-Martin Sinha aus Coburg, der die neuesten Daten zu diesen Untersuchungen vorstellte. Ferner erlaubt die MRT auch eine relativ gute Prognose darüber, bei welchen Vorhofflimmerpatienten eine Katheterablation erfolgversprechend ist und welche möglicherweise eher von einer rein medikamentösen Therapie profitieren.

RE-LY – das Ende der Warfarin-Ära? Doch auch für diejenigen Patienten, bei denen auf eine lebenslange Antikoagulation nicht verzichtet werden kann, gibt es gute Neuigkeiten: RE-LY („Randomised Evaluation of Long-term Anticoagulant TherapY“), die bisher größte Outcome-Studie bei Vorhofflimmern, verglich den direkten oralen Thrombininhibitor Dabigatran in zwei verschiedenen Dosierungen (2 x 110 mg oder 2 x 150 mg) mit Warfarin. Dabei ging der Thrombininhibitor eindeutig als Sieger hervor: In der höheren Dosierung erwies Dabigatran sich als effektiver und gleich sicher wie Warfarin, in der niedrigeren Dosis als ebenso wirksam, aber sicherer hinsichtlich der Blutungskomplikationen. Die Rate intrakranieller Blutungen, die ein besonders hohes Risiko für den Patienten darstellen, war unter Dabigatran in beiden Dosierungen wesentlich niedriger als unter Warfarin. Mit einer Zulassung des neuen Gerinnungshemmers in Europa zur Prävention thromboembolischer Ereignisse bei Vorhofflimmern wird bis Ende dieses Jahres gerechnet. Bedeutet dies das Ende der Antikoagulation mit Warfarin, das aufgrund seines engen therapeutischen Fensters und der Blutungshäufigkeit gerade älteren Risikopatienten viel zu selten verschrieben wird? Professor Dietrich Andresen aus Berlin, der die Daten über die RELY-Studie präsentierte, ist überzeugt davon. Denn die neue Substanz ist bei gleicher oder gar besserer Wirksamkeit wesentlich leichter zu handhaben: „Die gerinnungshemmende Wirkung tritt rasch ein, ist konsistent und vorhersehbar; der Thrombinhemmer erfordert kein routinemäßiges Gerinnungsmonitoring, und das Potenzial für Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln oder anderen Medikamenten ist gering.“

Dietrich Andresen, Berlin

Nassir Marrouche, Salt Lake City

Kardioforum 1 | 2010

49


50

Kardioforum 1 | 2010


Prof. Michael Oeff hat im Bundesland mit der höchsten Herzinfarktsterblichkeit echte Pionierarbeit geleistet und für Herz-Kreislauf-Patienten in Brandenburg eine Versorgung auf höchstem Niveau geschaffen – mit zwei Herzkatheterlaboren, interventioneller Elektrophysiologie und Telemonitoring. Werner Waldmann und Marion Zerbst och vor 13 Jahren gab es im Klinikum in der Stadt Brandenburg an der Havel keine Herzkatheterlabore für spezielle kardiologische Diagnostik und Interventionen: Prof. Michael Oeff hat die Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Brandenburg nach der Wiedervereinigung komplett neu aufgebaut. „Als ich 1997 hierher kam, waren Katheterinterventionen beim akuten Herzinfarkt in systematischem Umfang in unserer Region nicht üblich“, erklärt er. „Wir haben die Katheterbehandlung mit 24-StundenBereitschaft dann sofort eingeführt und auch konsequent praktiziert.“ Um die Versorgungssituation für Infarktpatienten in Brandenburg zu verbessern, rief Michael Oeff drei Jahre später das Herzinfarktregister Brandenburg ins Leben. Ziel war es, die Abläufe bei der Versorgung von Patienten mit akutem Myokardinfarkt in Brandenburg zu erfassen und den an dem Register beteiligten Kliniken auf diese Weise zu demonstrieren, was Akutmaßnahmen bei Infarktpatienten bewirken können – und dass diese Patienten ohne PTCA eine wesentlich schlechtere Prognose haben. „Damals gab es im ganzen Land Brandenburg nur fünf Katheterplätze. Wir haben die Ergebnisse unserer Untersuchung mit fast 3000 Patienten so ausgewertet, dass jede der beteiligten Kliniken eine Analyse für ihre Patienten bekam und ihr eigenes Vorgehen danach beurteilen konnte.“ Inzwischen hat sich die Herzinfarktversorgungssituation in Brandenburg deutlich verbessert: „Jetzt gibt es schon sehr viel mehr Kliniken mit Katheterlaboren, auch an kleineren Standorten.“ Und die Klinik für Innere Medizin I hat sich mittlerweile zu einem hochmodernen Herzzentrum entwickelt, das seinen Patienten das gesamte Spektrum kardiologischer und angiologischer Diagnostik und Therapie anbietet. Zu den Schwer-

N

punkten gehören die interventionelle Kardiologie, die Elektrophysiologie einschließlich der Katheterablation und die komplette Anigologie. Das Städtische Klinikum Brandenburg ist ein leistungsstarkes Krankenhaus der qualifizierten Regelversorgung mit über 500 Betten und ein Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité mit 13 klinischen Abteilungen, zahlreichen am Haus angegliederten Instituten und Versorgungszentren, in denen weitere Hochleistungsmedizin betrieben wird. Die exellente Kooperation zwischen allen diesen Disziplinen ermöglicht im Interesse der Patienten kurze Kommunikationsund Behandlungswege. Der vor Ort stationierte Rettungshubschrauber und mehrere Notarztwagen sichern die medizinische Notfallversorgung, die auf der interdisziplinären Intensivstation oder der Chest Pain Unit durchgeführt wird

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Michael Oeff Klinik für Innere Medizin I Städt. Klinikum Brandenburg Hochstr. 29 14770 Brandenburg an der Havel Tel.: 03381 41-1500 Fax: 03381 41-1509 oeff@klinikum-brandenburg.de www.klinikum-brandenburg.de

Herzinsuffizienz: optimale Betreuung durch Telemedizin Obwohl schwer herzinsuffiziente Patienten auch in Oeff's Klinik bei entsprechender Indikation mittels Device-Implantation durch Cardiale Resynchronisations-Therapie (CRT) leitliniengerecht behandelt werden, bleibt dies eine chronische Erkrankung. Um eine instabile klinische Situation

Erfasste Vitalparameter und subjektive Angaben beim Telemonitoring herzinsuffizienter Patienten • Körpergewicht • EKG (Herzrhythmus und -frequenz) • Blutdruck • Sauerstoffsättigung • Atemfrequenz • Befinden und Belastbarkeit des Patienten • Medikamenteneinnahme • Kontaktwunsch

Kardioforum 1 | 2010

51


52

Kardioforum 1 | 2010

besser zu beherrschen, wurde das Telemedizinische Zentrum Brandenburg (tmzb) eingerichtet. Was die telemedizinische Versorgung ihrer kardiologischen Patienten angeht, spielt die Klinik für Innere Medizin I innerhalb Deutschlands eine Vorreiterrolle: Nur an wenigen anderen Zentren wird dieses innovative Konzept so konsequent gelebt wie hier. Diese Patienten profitieren von der telemedizinischen Überwachung und Betreuung, für die Prof. Oeff ein neues Gerät entwickelt hat: Die bisherigen Geräte, so Oeff, erfassen nur wenige Parameter, beispielsweise Körpergewicht und/oder EGK, die zur Beurteilung oft nicht ausreichen. Die Betreuung der Patienten mit dem VitaGuard®-Messgerät oder dem PhysioMem® der Firma getemed geht viel weiter: Neben Messungen von Gewicht, Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung

prädiktiven Wert: „Meist passiert dann im Lauf der nächsten ein bis zwei Tage irgendetwas. Deshalb werden wir bei so einer Aussage schon hellhörig, rufen den Patienten an und fragen nach, ob er auch wirklich alle Tabletten genommen hat; und wenn man den Eindruck hat, dass er intensiver ärztlich betreut werden muss, wird der zuständige Hausarzt informiert.“ Das Gleiche gilt selbstverständlich auch bei neu aufgetretenen Rhythmusstörungen, wenn der Patient an Gewicht zugenommen hat, sein Blutdruck außer Kontrolle gerät oder sich andere Hinweise auf eine drohende Dekompensation seiner Herzinsuffizienz ergeben. Auf diese Weise kann der Arzt sehr rasch eine Anpassung der Medikamente vornehmen oder andere therapeutische Maßnahmen einleiten und so der Entstehung einer lebensbedrohlichen Situation vorbeugen.

und Beurteilung des Herzrhythmus werden die Patienten auch gefragt, wie es ihnen geht, ob sie ihre Tabletten genommen haben, ob sie Wasser in den Beinen haben oder unter Atemnot leiden. Und solche Informationen sind oft mindestens ebenso aussagekräftig wie die objektiven Messparameter: „Anhand der Luftnot kann man eine NYHA-Klassifikation der Patienten vornehmen“, erklärt Oeff. Und wenn ein Patient die Frage „Geht es Ihnen heute schlechter als gestern?“ mit Ja beantwortet, hat dies einen sehr hohen

Liegen keine Anzeichen für eine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten vor, so erhält der Arzt auf Wunsch eine Befundübersicht. Die Bedienung des Geräts ist denkbar einfach und auch für ältere Menschen problemlos erlernbar. Es wird beim Patienten zu Hause installiert; anschließend weist ein Team der Firma getemed ihn in die Bedienung und Selbstmessung ein. Je nach Bedarf werden ein- oder mehrmals am Tag die Patientendaten erfasst und automatisch an das Telemedizin Zen-


trum Brandenburg übermittelt. Dort werden die Daten von ärztlichem Personal erfasst und ausgewertet. Ziel dieser Überwachung ist es, kritische Situationen ambulant in den Griff zu bekommen und Krankenhauseinweisungen zu vermeiden, ein Erfolg, der signifikant bei Patienten erreicht werden konnte. Dieses Angebot wird von den meisten Patienten gern angenommen: Es gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit, dass Klinik, Kardiologe und Hausarzt sich so intensiv um sie kümmern. Außerdem verbessern sich dadurch nachweislich Lebensqualität und Überlebensdauer. Auf diese Weise rundum betreut, können sie auch sorglos verreisen: „Wir haben sogar Patienten, die nach Mallorca fliegen und uns von dort übers Handy ihr EKG schicken.“ Einige hundert Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz hat die Klinik für In-

diese Beobachtung ein, etwa 10.000 Telefonate wurden mit Patienten und behandelnden Ärzten durchgeführt, neben den regelmäßigen Messungen. Gewichtszunahme durch Ödembildung, neu aufgetretene Tachyarrhythmia absoluta oder andere Rhythmusstörungen, Blutdruckänderungen und Abfall der Sauerstoffsättigung ließen dabei frühzeitig Dekompensationszustände erkennen und entsprechend ambulant behandeln – eine sichere Versorgung und ein deutliches Einsparpotential! Leider tragen die meisten Krankenversicherungen trotz des nachgewiesenen Nutzens der telemedizinischen Betreuung herzinsuffizienter Patienten noch immer nicht die Kosten für solche Verfahren, die viel Geld in die leeren Kassen unseres Gesundheitssystems spülen könnten, wenn man sie flächendeckend umsetzen würde.

nere Medizin I am Klinikum Brandenburg bisher telemedizinisch betreut und die Effizienz dieses Verfahrens auch im Rahmen einer kleinen Studie überprüft. Diese Patienten wurden bis zu dreieinhalb Jahre nachverfolgt. Im intraindividuellen Vergleich mit einem Zeitraum vor Beginn des regelmäßigen Telemonitorings zeigte sich eine über 11%ige Reduktion der Krankenhausaufenthalte und eine 23%ige Reduktion der stationären Behandlungstage. Zirka 140.000 Patiententage gingen in

Michael Oeff hält das Verfahren trotz dieser Startschwierigkeiten für einen Zukunftstrend: „,Ambient Assisted Living‘, ist im Kommen“, meint er. Menschen in ihrer häuslichen Umgebung mithilfe verschiedener Monitoring-Möglichkeiten zu betreuen, macht nicht zuletzt auch aufgrund unserer demografischen Entwicklung Sinn: Schließlich gibt es immer mehr ältere Patienten, und das bei immer knapper werdenden Ressourcen. In 2005 hatte Michael Oeff innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Kardiolo-

Literatur Oeff M, Kotsch P, Gößwald A, Wolf U. Überwachung multipler Herzkreislaufparameter mittels Telemonitoring bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Herzschr Elektrophys 16:150–158 (2005)

Kardioforum 1 | 2010

53


gie gemeinsam mit anderen Protagonisten der Telemedizin bereits die Arbeitsgemeinschaft für Telemonitoring (die AG 33) gegründet. Regelmäßige Arbeitsgruppensitzungen mit bedeutenden, auch ausländischen Referenten, die Definierung von Indikationsfeldern für die Telemedizin, die Kooperation mit dem VDE als Projektträger für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Erarbeitung von Auswertestrategien zu den Krankheitskosten der Herzinsuffizienz sowie Kontakte zum G-BA wegen zukünftiger Einbindung dieser Methode in den Leistungskatalog werden von der Arbeitsgruppe betrieben und in verschiedenen Publikationen veröffentlicht.

Ein Pionier der Katheterablation Auch Patienten mit Verdacht auf Herzrhythmusstörungen werden in der Brandenburger Kardiologie großenteils telemedizinisch überwacht. Als Rhythmologischem Zentrum im Land Brandenburg fällt der Klinik in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle zu: Sämtliche Formen von Rhythmusstörungen werden hier diagnostiziert und behandelt. Patienten mit unklaren Palpitationen können zur Überwachung ihres Herzrhythmus ein mobiles EKG-Gerät in Kreditkartengröße erhalten, das „100IR“ der Firma Vitaphone das sie immer am Körper tragen und einfach nur an die Brust zu drücken und per Knopfdruck zu aktivieren brauchen, sobald das beunruhigende „Herzstolpern“ oder „Herzrasen“ wieder auftritt. Zusätzlich können sie auch noch ihre Symptome aufsprechen. Anschließend werden diese Daten per Handy oder Festnetztelefon an die Klinik übertragen und am Computer ausgewertet. So kann der Arzt auch bei nur gelegentlich auftretenden Beschwerden, die sich im Rahmen eines Langzeit-EKGs nicht immer ohne weiteres diagnostizieren lassen, eine sichere Diagnose stellen und harmlose Extrasystolen von Vorhofflimmern oder sonstigen behandlungsbedürftigen Arrhythmien unterscheiden. Um hinter die Ursache anderer unklarer Beschwerden wie z.B. Synkopen zu kommen, werden den Patienten Ereignisrecorder implantiert, die ein Langzeit-EKG über eine Zeitdauer von maximal zwei Jahren aufzeichnen und teilweise auch telemedizinisch ausgelesen werden können, sodass der Patient gar nicht erst ins Krankenhaus kommen muss. „Wir haben auf diese Weise schon viele – auch schwere – Fälle diagnostiziert“, erzählt Oeff. „Einer unserer Patienten hat an einer Drehmaschine gearbeitet und dabei immer wieder Synkopen bekommen. Da war es besonders wichtig, festzustellen, woher diese wiederkehrenden Ohnmachtsanfälle kamen.“ Eine weitere Indikation für den Ereignisrecorder, die auch unter wissenschaftlichen Fragestellungen immer wichtiger wird, ist die Überprüfung von Therapieerfolgen, z.B. nach einer Katheterablation. Auch auf diesem Gebiet, in der Elektrophysiologie, steht das Klinikum Brandenburg an vorderster Front: Zur Lokalisation von Arrhythmien ohne Röntgenanwendung steht

54

Kardioforum 1 | 2010

ein hochmodernes elektro-anatomisches Mapping-Verfahren (CARTO-System) zur Verfügung. Zwei Ärzte befassen sich ausschließlich mit der Katheterablation von Rhythmusstörungen aller Art. Und natürlich werden auch alle anderen antiarrhythmischen Therapien angeboten – von der medikamentösen Behandlung bis hin zur Implantation von Schrittmacher- und Defibrillator-Systemen. Mit der interventionellen Elektrophysiologie hat sich Oeff bereits frühzeitig beschäftigt: Von 1987 bis 1988 betrieb er experimentelle Studien im Department of Electrophysiology der University of San Francisco unter Leitung von Prof. Melvin Scheinman, der damals die ersten Katheterablationen am Menschen vornahm. Ein Jahr später war Oeff der erste Mediziner, der elektrophysiologische Interventionen in Berlin an der Medizinischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Steglitz der FU Berlin durchzuführen begann. Da ist es eigentlich nur folgerichtig, dass Michael Oeff diesen innovativen medizinischen Bereich jetzt auch in Brandenburg immer weiter ausbaut. So saß er von Anfang an im Lenkungsausschuss des Kompetenznetzes Vorhofflimmern (AFNET). Das deutschlandweit mit 15 Haupt-Zentren betriebene AFNET hat derzeit über 10.000 Patienten eingeschlossen. „Zurzeit führen wir im Rahmen dieses Registers eine wichtige Substudie durch: das Critical Event Committee. Aufgabe dieser Substudie ist es, die bei den eingeschlossenen Patienten auftretenden kritischen Ereignisse – z.B. Schlaganfälle, Blutungen unter Antikoagulation, Herzschwäche, plötzliche Todesfälle etc. – zu erfassen und die Fragestellung zu untersuchen, ob diese Ereignisse mit dem Vorhofflimmern in Zusammenhang stehen oder auf eine andere Erkrankung zurückzuführen sind.“ Davon verspricht man sich nähere Informationen über den Krankheitswert des Vorhofflimmerns. Für solche wissenschaftlichen Projekte wurde von Oeff extra eine klinisch-kardiologische Forschungsabteilung eingerichtet, die personell mit drei Study Nurses und ein bis zwei ÄrztInnen ausgestattet ist. Auch in der Aus- und Fortbildung ist die Kardiologie des Brandenburger Klinikums sehr aktiv. „Wir haben systematische Ausbildungskonzepte: Jeder Arzt arbeitet für eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Bereich und geht dann in den nächsten. Auch diese gute Ausbildung ist ein Anziehungspunkt unseres Krankenhauses; daher leiden wir im Gegensatz zu manchen anderen Kliniken auch nicht unter Personalmangel. Die Mehrzahl der Ärzte, die bei uns ausgebildet werden, kommen aus Berlin und nehmen teilweise lange Fahrzeiten auf sich.“

Gesund in Brandenburg Prävention ist Michael Oeff ebenfalls ein großes Anliegen. „Wir gehören zum Ring rauchfreier Krankenhäuser und bemühen uns, nicht nur unser Personal (was schon schwie-


rig genug ist), sondern auch unsere Patienten zur Einstellung des Rauchens zu motivieren.“ Zu diesem Zweck besuchen zwei speziell geschulte Mitarbeiterinnen alle herzkranken Patienten auf der Station und stellen ihnen ein Raucherentwöhnungskonzept vor. „Wenn der Patient Interesse daran zeigt, erhält er weiterführende Informationen und Empfehlungen für Raucherentwöhnungskurse.“ Die rauchstopp-willigen Patienten werden systematisch nachverfolgt: „Nach einem Vierteljahr rufen wir sie an und fragen nach, ob sie auch wirklich aufgehört haben.“ Außerdem führt die Klinik bei bestimmten kardiologischen Risikogruppen systematische Screenings durch. Bei asymptomatischen Risikopatienten für eine generalisierte arteriosklerotische Gefäßerkrankung wird z.B. grundsätzlich der Ankle-Brachial-Index (ABI) bestimmt; bei pathologischem ABI erfolgen weitere Untersuchungen zur Diagnostik bzw. zum Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit. Bei Patienten mit asymptomatischer KHK steht obligatorisch eine Ultraschalluntersuchung der Karotis und der Arteria subclavia auf dem Programm. Und bei sämtlichen Patienten mit Diabetes mellitus wird sowohl der ABI bestimmt als auch eine Karotis- und Subclavia-Duplexuntersuchung durchgeführt. „Das gehört zwar nicht zum normalen Untersuchungsprogramm und wird uns im Rahmen der DRGs auch nicht vergütet“, erklärt Professor Oeff. „Trotzdem führen wir diese Untersuchungen durch, weil wir sie für wichtig halten – insbesondere bei der Hochrisikogruppe der Diabetiker.“ Michael Oeff ist auch Gründungsmitglied des Vereins „Gesund in Brandenburg“ (www.gesundinbranden burg.com), der sich im Rahmen von verschiedenen Projektgruppen für die Gesundheit der Bevölkerung in der Stadt engagiert: Brandenburg – in DDR-Zeiten nicht gerade eine „gesundheitsbewusste“ Stadt, mit hoher Prävalenz von Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – soll sich mithilfe dieser gezielten Aktivitäten nun als Gesundheitsstandort etablieren. Denn gerade bei den großen Volkskrankheiten wie Diabetes und Herz-KreislaufErkrankungen ist ein gesunder Lebensstil wirksamer als jede Therapie. So wurde z.B. ein Stadtnetzwerk für gesunde Ernährung ins Leben gerufen. Die Projektgruppe „Gesund im Unternehmen“ tut in Kooperation mit der regionalen Wirtschaft etwas für betriebliche Prävention; „Vital in Brandenburg“ vernetzt touristische Angebote und sportliche Ereignisse mit den medizinischen Angeboten und Reha-Maßnahmen innerhalb der Stadt; und das Projekt „Med-Economy“ versucht durch Vermittlung günstiger Praxisräume im Stadtgebiet und besondere Konditionen zur Darlehensaufanhme die Ansiedlung neuer Ärzte in Brandenburg zu unterstützen. Ebenfalls einen sehr wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung in Brandenburg leistet Michael Oeff seit drei Jahren mit seiner Aktion „Schnelle Hilfe rettet

Leben“: In Bereichen mit viel Publikumsverkehr wurden mittlerweile bereits 25 automatisierte externe Defibrillatoren installiert; die meisten dieser Defis hat der Verein gespendet. Parallel dazu wurden bisher über 400 Personen als Ersthelfer ausgebildet. Endziel ist eine möglichst flächendeckende Versorgung. Ein Menschenleben konnte durch diese Aktion schon gerettet werden: Ein 70-jähriger Mann, der an der Kasse eines Einkaufszentrums plötzlich bewusstlos mit Kammerflimmern zusammengebrochen war, wurde erfolgreich defibrilliert. Außerdem hält Oeff regelmäßig Vorträge über den plötzlichen Herztod – „oft leider auch aus aktuellem Anlass“, erklärt er. „In einem unserer Sportvereine ist erst kürzlich wieder jemand tot umgefallen. Ähnliche Probleme gibt es auch in Fitnesscentern: Da gehen zum Teil Leute hin, die vorher gar nicht ärztlich untersucht worden sind. Ich kläre die Besucher meiner Vorträge über typische Herzinfarktsymptome auf und versuche ihnen klarzumachen, dass sie in so einem Fall sofort die Nummer 112 anrufen sollen. Außerdem informiere ich über Wiederbelebungsmaßnahmen im Akutfall und erkläre, dass man bei Anzeichen für eine Herzerkrankung, z.B. wiederholten Schwindelanfällen oder Angina-pectoris-Symptomen, mit sportlicher Aktivität sehr vorsichtig sein und sich vorher auf jeden Fall erst einmal vom Arzt untersuchen lassen sollte.“

Liebe auf den ersten Blick Eigentlich ist ihm der Arztberuf schon in die Wiege gelegt worden: Beide Eltern waren Ärzte. „Meine Geschwister und ich haben schon als Kinder medizinische Bücher gelesen und nach seltenen Krankheiten gesucht, die wir besonders interessant fanden“, erzählt er. Da war der Schritt bis zur Kardiologie nicht mehr weit: „Nach meiner Approbation als Arzt habe ich zwei Jahre im Städtischen RudolfVirchow-Krankenhaus gearbeitet, bin dann 1980 an die Medizinische Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Steglitz an der FU Berlin übergewechselt und dort gleich in die Kardiologie eingestiegen – die Beschäftigung mit HerzKreislauf-Erkrankungen war für mich von Anfang an so etwas wie Liebe auf den ersten Blick.“ Als sich für ihn dann nach der Wende die Möglichkeit ergab, am Städtischen Klinikum Brandenburg etwas Neues aufzubauen, zögerte der gebürtige Westberliner nicht lange: „Ich habe zunächst einmal die demografische Situation geprüft und festgestellt, dass es hier viele herzkranke Patienten gab. Als Nächstes habe ich mit der brandenburgischen Großgerätekommission Kontakt aufgenommen und sichergestellt, dass wir die Katheterlabore bekommen.“ Und dann hieß es „Zähne zusammenbeißen und durch“: „In den ersten paar Jahren des Aufbaus haben wir von frühmorgens bis spät in den Abend gearbeitet“, erzählt er. „Zum Glück hatte und habe ich immer sehr gute Oberärzte, die mich mit großem Engagement unterstützen.“

Kardioforum 1 | 2010

55


Burn-out und Suchterkrankungen: Ärzte haben ein besonders hohes Risiko Die besonderen Belastungen, denen Mediziner ausgesetzt sind, fordern ihren Preis: Schätzungsweise 8 % aller Ärzte in Deutschland sind suchtkrank; rund 20 % leiden an einem Burn-out-Syndrom oder sind zumindest stark Burn-outgefährdet. Seit über 20 Jahren bieten die Oberbergkliniken solchen Medizinern ein auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnittenes Therapieprogramm an. Marion Zerbst urn-out ist ein Oberbegriff für sehr verschiedenartige Störungen. Die Hauptursache ist eine permanente Überforderung, die allerdings nicht nur durch das äußere Arbeitsumfeld bedingt ist: Ein überhöhter Anspruch an sich selbst, Perfektionismus, starkes berufliches Engagement und familiäre Probleme oder Partnerschaftskonflikte tragen in ihrer Summe dazu bei, dass Körper und Seele mit der Zeit zusammenbrechen. Burn-out-gefährdet sind vor allem Menschen, die unfähig sind, Aufgaben zu delegieren, und ihre eigenen Grenzen permanent überschreiten. Diese chronische Überforderung führt mit der Zeit zu einer totalen Erschöpfung der körperlichen und seelischen Reserven. Am häufigsten sind Angehörige sozialer Berufe wie Ärzte oder Lehrer, aber auch Politiker, Selbständige und grundsätzlich alle Menschen betroffen, die führende Positionen bekleiden und unter einem entsprechenden Leistungsdruck stehen: Nur wer brennt, kann ausbrennen. Die ersten warnenden Symptome sind eher unspezifisch und werden daher oft übersehen: Man fühlt sich müde und lustlos, reagiert immer häufiger reizbar und pessimistisch, hat keinen Spaß mehr an der Arbeit, leidet unter Konzentrationsstörungen und Leistungsabfall. Hinzu können körperliche Symptome wie Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen, Müdigkeit, Herzrasen oder Kopfschmerzen kommen. Bei vielen Menschen führt dieser Zustand mit der Zeit zum totalen physischen und psychischen Zusammenbruch. Denn sie ignorieren die immer deutlicher werdenden Warnsignale, wollen sich keine Schwäche eingestehen

B

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Götz Mundle Oberbergklinik Schwarzwald Oberberg 1 78132 Hornberg Tel.: 0 78 33/7 92-2 33 goetz.mundle@oberbergkliniken.de www.oberbergkliniken.de

56

Kardioforum 1 | 2010

und schauen, um das Problem zu kompensieren, lieber öfter einmal zu tief ins Glas, greifen zu Drogen oder Medikamenten oder versinken in eine tiefe Depression. Die drei Fachakutkliniken der Oberberggruppe Berlin/Brandenburg, Schwarzwald und Weserbergland (www.oberbergkliniken.de) bieten Ärzten und anderen beruflich stark geforderten Menschen, die unter Abhängigkeitserkrankungen, Ängsten, Depressionen oder Burn-out leiden, eine auf ihre spezielle Situation zugeschnittene medizinisch-psychotherapeutische Behandlung an.

Eine Erkrankung mit vielen Gesichtern „Burn-out und Suchterkrankungen hängen eng miteinander zusammen; ihnen liegen ähnliche Fehlverhaltensmuster zugrunde“, erklärt Dr. Edda Gottschaldt, die Geschäftsführerin der drei Kliniken. „Burn-out – das physische und psychische Ausgebranntsein – kann sich in sehr verschiedenen Formen äußern: Der eine fängt an zu trinken, der andere möchte von allen geliebt werden. Die Patienten rennen im Kreis herum wie Hamster im Rad und kommen nicht weiter, sind nicht mehr produktiv. Aber wer gibt in unserer Hochleistungsgesellschaft schon zu, dass er nicht mehr kann? Da wird eben einfach eine Pille genommen, ein Bier getrunken – man kompensiert zu viel. Viele Menschen, die beruflich hohen Anforderungen ausgesetzt sind und permanent unter Stress stehen, können nur noch mit Alkohol oder mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln abschalten. Damit ist der Weg in die Sucht vorprogrammiert.“ Oft suchen die Betroffenen erst dann Hilfe, wenn es nicht mehr anders geht


oder wenn die Menschen in ihrem privaten und beruflichen Umfeld nicht länger bereit sind, das Problem zu tolerieren. Die Oberbergkliniken bieten diesen Patienten, die beruflich meist sehr stark eingespannt sind und daher möglichst bald wieder gesund an ihren Arbeitsplatz zurückkehren möchten, ein sehr intensives, zeitlich komprimiertes Behandlungs- und Betreuungsprogramm an. „Die jetzige Behandlung von Suchtkrankheiten ist vielfach noch nicht optimal organisiert“, erklärt Dr. Edda Gottschaldt. „Ein Alkoholiker oder Medikamentenabhängiger unterzieht sich einer Entgiftung auf der Intensivstation einer Klinik, wird dann nach Hause geschickt und muss bis zum Beginn der Reha-Maßnahme oft Wo-

chen oder gar Monate warten. In dieser Zeit sind viele Suchtkranke wieder rückfällig geworden oder haben sich das Leben genommen.“ In den Oberbergkliniken ist das anders: Alle Maßnahmen – Entgiftung und Entwöhnung, psychiatrische, neurologische, internistische und psychotherapeutische Behandlung – finden en bloc in einem Haus statt, und zwar innerhalb eines Zeitraums von sechs bis acht Wochen. Unnötige Wartezeiten und dadurch bedingte Rückfälle sind auf diese Weise nahezu ausgeschlossen.

Ein maßgeschneidertes Programm Alle drei Kliniken arbeiten nach dem Oberbergmodell, das der Begründer der

Burn-out – so können Sie vorbeugen Niemand ist dagegen gefeit, in die Burn-out-Falle zu geraten. Durch Beherzigung einiger einfacher Verhaltensregeln kann man jedoch vorbeugen: • In sich hineinhören. Lernen Sie, Ihre Grenzen zu erkennen und zu respektieren, Aufgaben zu delegieren und auch einmal Nein zu sagen, wenn Sie sich überfordert fühlen. Fragen Sie sich: Wo sind die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit? Lassen sich die Ansprüche, die ich und andere an mich stellen, noch erfüllen? Selbsterkenntnis verhilft zum achtsamen Umgang mit sich selbst. • Mindestens einmal pro Jahr Urlaub machen. Und sich dann auch wirklich die „Lizenz zum Faulsein“ erteilen: „Urlaub darf nicht zum Stress werden“, warnt Prof. Götz Mundle. „Man sollte ihn nicht komplett durchplanen, sich nicht pausenlos in Aktivitäten flüchten, sondern wirklich einmal zur Ruhe kommen.“ Wichtig ist, die Arbeit zu Hause zu lassen oder aber – wenn bestimmte Arbeiten unbedingt erledigt werden müssen – diese zeitlich genau zu begrenzen. • Regelmäßig Pausen einlegen. Ein oder zwei Urlaube im Jahr reichen nicht aus: Auch jede Woche und jeder Tag muss durch Pausen strukturiert sein. Mindestens ein Tag in der Woche soll völlig frei von beruflichen Verpflichtungen sein. Und man sollte versuchen, wenigstens an zwei Abenden pünktlich zu Hause zu sein. Auch die kleinen Pausen während des Tages sind wichtig: „Unser Energiehaushalt ist nach einer bis anderthalb Stunden intensiven Arbeitens erschöpft“, erklärt Dr. Edda Gottschaldt. „Das vegetative Nervensystem muss immer wieder aus einem Zustand der Anspannung in einen Zustand der Entspannung gebracht werden. Dadurch verbessert sich der Gehirnstoffwechsel.“ Aus diesem Grund sollte man alle 60 bis 90 Minuten eine kleine Pause einlegen und spazieren gehen, joggen oder zumindest kurz meditieren, sich hinlegen und entspannen – oder einfach nur ins Leere schauen. Das regelmäßige Praktizieren einer Entspannungstechnik hilft, innerlich zur Ruhe zu kommen. • „Freizeitaktionismus“ vermeiden. Auch in Freizeit und Privatleben gilt: Faulsein ist erlaubt und kein Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. „Viele Menschen, die in ihrem Beruf Spitzenleistungen erbringen müssen, gehen nach der Arbeit noch ins Fitnessstudio, setzen sich dort weiter unter Leistungsdruck und glauben, sich damit etwas Gutes zu tun“ – das beobachtet Dr. Edda Gottschaldt bei ihren Patienten immer wieder. Auch in der Freizeit muss der richtige Rhythmus zwischen Entspannung und Aktivität gefunden werden. • Regelmäßige Mahlzeiten. Nehmen Sie sich Zeit dafür und genießen Sie sie, statt einfach nur während der Arbeit mehr oder weniger gedankenlos und hektisch irgendetwas in sich hineinzustopfen! • Hobbys, Freunde und Familienleben nicht vernachlässigen. Selbst bei noch so großer Arbeitsüberlastung muss man ab und zu einmal etwas tun, was nichts mit dem Beruf zu tun hat, sondern einfach nur Spaß macht, um wieder neue Energie aufzutanken und den Spaß an der Arbeit nicht zu verlieren.

Kardioforum 1 | 2010

57


Warum Ärzte so gefährdet sind Mediziner sind eine zunehmende Hochrisikogruppe für Burn-out und Abhängigkeitserkrankungen, weil an sie enorm hohe ethische und professionelle Ansprüche gestellt werden, die sich derzeit durch die Umstrukturierungen im Gesundheitswesen noch verschärfen: Heutzutage müssen Ärzte gleichzeitig auch Unternehmer sein, haben dies aber nie wirklich gelernt. Hinzu kommt, dass Krankheit vom Arzt als eine Art persönlicher Niederlage erlebt wird: Ärzte glauben, nicht krank werden zu dürfen – und wenn, dann müssten sie in der Lage sein, sich selbst zu helfen. Suchterkrankungen werden nicht nur vom Arzt selbst, sondern auch von seinem beruflichen Umfeld häufig verleugnet, tabuisiert und – solange es geht – gedeckt. Teilweise verlängert sich der Krankheitsverlauf dadurch um bis zu zehn Jahre; oft wird die Erkrankung erst dann diagnostiziert und behandelt, wenn bereits gesundheitliche Schäden vorliegen oder die Approbation oder Kassenzulassung auf der Kippe steht. Gefährdet sind vor allem allein arbeitende Allgemeinärzte, aber auch Chirurgen, Anästhesisten und Psychiater. Schaut man sich die Statistiken an, so fällt auf, dass Ärzte zwar weniger Zigaretten und illegale Drogen, aber dafür relativ mehr Alkohol konsumieren. Vor allem die Kombination von Alkohol und Medikamenten ist bei Ärzten häufig zu finden. Hier spielt neben den Stressfaktoren auch die Griffnähe eine wichtige Rolle. Substanzabhängige Ärzte sind schwieriger zu behandeln als andere Patienten mit der gleichen Erkrankung. Das liegt nicht zuletzt an der Selbst- und Fremdwahrnehmung des Arztes: dem Glauben, dass ein Arzt nahezu unverwundbar sein und jederzeit alles im Griff haben muss, und der Idealvorstellung des selbstlosen Helfers, der immer für andere Menschen da ist und niemals an sich selber denkt. Dieses weit verbreitete Selbstbild des Arztes ist eine geradezu optimale Konstellation für Selbstüberforderung, Sucht und Burn-out – und auch der Hauptnährboden für den Widerstand, den viele Mediziner einer Therapie anfangs bewusst oder unbewusst entgegensetzen. Wichtig ist es daher, gleich zu Beginn der Therapie an der Akzeptanz der Patientenrolle zu arbeiten. Sie ist eine ganz entscheidende Voraussetzung für den Therapieerfolg: „Wenn es dem Arzt gelingt, das unrealistische Selbstideal vom ,Halbgott in Weiß‘ oder ,Engel in Weiß‘ zu überwinden, und er seine Sucht nicht mehr als persönliches Versagen betrachtet, sondern als Erkrankung akzeptiert, sind die dauerhaften Heilungschancen überdurchschnittlich gut“, weiß Prof. Götz Mundle.

Kliniken, Professor Matthias Gottschaldt, entwickelt und viele Jahre lang erfolgreich angewendet hat. Das Modell basiert auf der These, dass jeder Mensch ein unverwechselbares emotionales Profil hat und somit auch einer individuellen Behandlung bedarf. Daher wird in den Oberbergkliniken auch für jeden Patienten ein maßgeschneiderter Therapieplan entwi-

58

Kardioforum 1 | 2010

ckelt, der seine persönlichen Bedürfnisse und Lebensumstände berücksichtigt. Ziel ist es, über die reine Behandlung der Erkrankung hinauszugehen und intensiv an der Persönlichkeit des Patienten zu arbeiten: „Wir möchten ihm über die Eintrittspforte seiner Krankheit die Möglichkeit geben, innerlich zu wachsen, sich weiterzuentwickeln und seine Krise wirklich als Chance zu nutzen“, erklärt Prof. Götz Mundle, ärztlicher Geschäftsführer der Oberbergkliniken und Chefarzt der Oberbergklinik Schwarzwald. „Deshalb bieten wir unseren Patienten eine sehr intensive Psychotherapie an.“ Der Therapeuten-Patienten-Schlüssel beträgt 2:1. Den Schwerpunkt bilden die 50-minütigen Einzel- und die 100-minütigen Gruppentherapien, die unter anderem tiefenpsychologische, verhaltens- und familientherapeutische Elemente beinhalten. Insgesamt umfasst ein Therapieplan ungefähr 30 Stunden pro Woche. Jeder Patient hat mehrere Therapeuten, die parallel mit ihm arbeiten. Diese intensive Behandlung ermöglicht es, individuell auf das Krankheitsbild und die Sorgen und Nöte jedes einzelnen Patienten einzugehen. Und wie läuft so ein Therapieaufenthalt konkret ab? „Wenn ein Patient in unsere Klinik kommt, wird er zunächst einmal auf der Aufnahmestation internistisch durchgecheckt; dann wird eine Entgiftung und Behandlung etwaiger physischer Erkrankungen eingeleitet“, erklärt Dr. Edda Gottschaldt. „Bereits parallel zu dieser Phase findet der erste Kontakt mit dem Psychotherapeuten statt, der den Patienten in der nahtlos sich anschließenden Entwöhnungsphase als sein leitender Therapeut begleitet.“ Die psychotherapeutische Behandlung gliedert sich in drei Phasen: Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Patienten Zuwendung und Geborgenheit erhalten, ihren Stressfaktoren entzogen werden und sich erholen können. „Das ist die erste Phase. Aber natürlich reicht das nicht aus, denn danach würde der Patient sofort wieder ins alte Fahrwasser hineingeraten.“ In der zweiten Phase (die Entgiftung ist jetzt bereits abgeschlossen) analysiert man, warum


es zu der Erkrankung gekommen ist. „Hier kommt der tiefenpsychologische Aspekt unserer Therapie zum Tragen: Wir schauen uns gewisse Grundverhaltensmuster der Patienten an.“ Der Schwerpunkt der dritten Behandlungsphase liegt auf verhaltenstherapeutischen Maßnahmen: Gemeinsam mit ihren Therapeuten entwickeln die Patienten Strategien zur Prophylaxe, damit sie nach ihrer Entlassung aus der Klinik nicht sofort wieder vor dem gleichen Problem stehen. Suchtkranke bekommen jetzt beispielsweise bestimmte Aufgaben für das Wochenende gestellt; sie fahren zu Besuch nach Hause und schauen, wie sie mit dem Partner und den Kindern klarkommen. Burn-out-Patienten lernen, ihre Ansprüche an sich selbst zu reduzieren und kleine Regenerationsphasen in ihren Alltag einzubauen. Unter Dauerstress stehende Ärzte erarbeiten gemeinsam mit ihren Therapeuten konkrete Strategien, wie sie den Praxisalltag besser gestalten und wieder zu einem ausgewogenen Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben, Anspannung und Entspannung finden können. Meist befinden

sich in einer Oberbergklinik mehrere Ärzte gleichzeitig in Behandlung, was homogene Gruppen ermöglicht, in denen die Patienten ihre Schamschwelle überwinden, Erfahrungen austauschen und in der Solidarität mit Kollegen gemeinsam an ihrer vermeintlichen „Schwäche“ arbeiten können.

Raum der Stille Im Rahmen ihrer Therapie in den Oberbergkliniken wird den Patienten auch vermittelt, wie sie wieder zu sich selbst zurückfinden, in sich hineinschauen und zu einem Zustand innerer Ruhe gelangen können. „Heutzutage lernen die Menschen nur noch, ständig auf Hochtouren zu laufen, haben aber verlernt, wie man in den Leerlauf kommt“, sagt Prof. Götz Mundle. „Höchstleistungen erbringen – das können wir alle. Aber Abschalten, Leerlauf, Pause – das ist kaum noch möglich.“ Genau diese Fähigkeit eignen sich die Patienten in den Oberbergkliniken wieder an, und zwar anhand von „Übungen der Stille“: Dazu gehören Entspannungstechniken wie

Die Oberbergkliniken auf einen Blick Die Oberbergkliniken sind Akutkrankenhäuser in privater Trägerschaft und bieten eine umfassende medizinische Diagnostik und psychosomatische Therapie an. Die Kosten dafür werden momentan nur von privaten Krankenkassen übernommen. Diese erstatten die Kosten für die psychosomatische Therapie nach Antragstellung und für die Suchttherapie im Allgemeinen auf dem Kulanzweg, selbst wenn dies gar nicht zu ihren Versicherungsleistungen gehört. Eine ärztliche und pflegerische Betreuung ist rund um die Uhr gewährleistet. Die Akutaufnahme ist zu jeder Tagesund Nachtzeit möglich. Abhängigkeitserkrankte werden auch im intoxikierten Zustand aufgenommen.

Die privaten Akutkrankenhäuser der Oberberggruppe: Oberbergklinik Schwarzwald Oberberg 1 78132 Hornberg Tel.: 0 78 33/7 92-0

Oberbergklinik Weserbergland Brede 29 32699 Extertal-Laßbruch Tel.: 0 57 54/87-0

Oberbergklinik Berlin/Brandenburg Am Glubigsee 46 15864 Wendisch Rietz Tel.: 03 36 79/64-100

Die privaten City-Konzepte der Oberberggruppe: Oberberg-City Berlin Charlottenstraße 60 (Gendarmenmarkt) 10117 Berlin-Mitte Tel.: 0 30/22 48 83 16

Oberberg-City München Tal 9 80331 München Tel.: 089 4522856-0

Internet: www.oberbergkliniken.de

Gebührenfreier Beratungsservice: Tel. 08 00/32 22 32 2 – hier erhalten Patienten und einweisende Ärzte Auskunft zum Therapieangebot, zu Fragen der Kostenübernahme und den Aufnahmemöglichkeiten für alle drei Klinikstandorte. Es kann auch ein Termin für ein erstes kostenloses Vorgespräch direkt in der nächstgelegenen Oberbergklinik vereinbart werden.

Kardioforum 1 | 2010

59


Der Begründer der Kliniken: Professor Matthias Gottschaldt Der Begründer der Oberbergkliniken, Matthias Gottschaldt, kam 1939 in Berlin zur Welt und wurde nach seinem Medizinstudium Facharzt für Neurologie. Bereits mit 34 Jahren trat er die Chefarztstelle einer neurologischen Klinik in Herford an; zwei Jahre später wurde er zum Professor in Münster berufen. Die permanente berufliche Belastung, die mit diesem frühen Erfolg einherging, verkraftete er jedoch nicht; er erkrankte am Burn-outSyndrom und an einer daraus resultierenden Alkoholabhängigkeit. Dadurch vorläufig berufsunfähig geworden, unterzog er sich mehreren stationären Therapieversuchen und lernte schließlich, mit seiner Krankheit umzugehen und trocken zu bleiben. Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus entwickelte Gottschaldt Anfang der Achtzigerjahre das Oberbergmodell, das auf die Bedürfnisse leistungsorientierter, beruflich stark engagierter Menschen zugeschnitten ist. 1988 wurde die erste Oberbergklinik in Hornberg (Schwarzwald) eröffnet, 1991 und 1997 folgten weitere Häuser im Weserbergland und in der Nähe von Berlin. Matthias Gottschaldt kam im Jahr 1998 bei einem Flugzeugunfall ums Leben; seitdem ist seine Frau, Dr. Edda Gottschaldt, Geschäftsführerin der Oberbergkliniken.

autogenes Training oder progressive Muskelentspannung nach Jacobson ebenso wie meditative Verfahren und Achtsamkeitsübungen wie Yoga und Bodyscan nach John Kabat-Zinn. „Wenn ein Patient so etwas kann, hat er viel gelernt: Er weiß dann, wie er am Arbeitsplatz zwischendurch eine kurze Pause einlegen und abschalten kann.“ Er gewöhnt sich dadurch auch an, achtsam in sich hineinzuschauen und auf sein Leistungsprofil und seine Emotionen zu achten, so dass er es in Zukunft rechtzeitig merkt, wenn er erschöpft ist oder aus dem Gleichgewicht gerät. „Die Menschen lernen bei uns nicht nur, keinen Alkohol mehr zu trinken oder keine Drogen mehr zu nehmen (das wäre reiner Verzicht); sondern sie müssen einen Weg finden, mit ihrem inneren Stress umzugehen. Unser Nervenkostüm ist durch die vielen Anforderungen von außen überfordert. Mit Entspannungsübungen und meditativen Techniken können wir dieses Nervenkostüm fit machen,

60

Kardioforum 1 | 2010

so dass es mit dem Stress und den Anforderungen wieder besser umgehen kann. So etwas kann man lernen“, sagt Prof. Mundle. Allerdings muss man es üben: „Wir haben deshalb in unseren Kliniken einen ,Raum der Stille‘ eingerichtet, in den die Patienten sich zurückziehen können. Wir stellen immer wieder fest, dass die Menschen gerade mit der Ruhe, mit der Stille die größte Mühe haben.“

Zurück ins Leben Als weiteren Baustein auf dem Weg in ein neues Leben bieten die Oberbergkliniken körperorientierte und gestaltende Therapien an. Mit tiefenpsychologisch fundierten Gestaltungstherapien wird das kreative Potenzial der Patienten geweckt; in gestalterischer Arbeit können sie sich neu erfahren. Der Körper wird im Rahmen von Bewegungstherapie und beim Sport neu erlebt und trainiert. Denn es ist sehr wichtig, dass die Patienten ihre innere Lebendigkeit neu entdecken: „Sie müssen wieder lernen, das Leben zu genießen“, sagt Dr. Edda Gottschaldt. „Deshalb verwöhnen wir sie auch mit guter Küche und einem interessanten kulturellen Veranstaltungsangebot. Alle unsere Kliniken liegen in landschaftlich reizvoller Umgebung, mitten in der Natur. Getreu dem Motto unserer Kliniken (,Zurück ins Leben‘) wollen wir erreichen, dass die Patienten sich wieder für das Leben begeistern. So etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen; aber die Freude und das Interesse am Leben sind erlernbar – positives Denken im wirklichen Sinn des Wortes ist eine innere Haltung.“ Die hohe Erfolgsrate beweist, dass das ein sehr sinnvolles Konzept ist: Sie liegt bei 80% – wobei als „Erfolg“ nicht nur die Anzahl der Patienten gewertet wird, die unter dieser Behandlung dauerhaft abstinent bleiben, auch andere Faktoren wie Lebenszufriedenheit und innere Weiterentwicklung fließen in die Erfolgsbilanz mit ein. Die Dauer einer solchen Therapie hängt von der individuellen Situation des Patienten ab: Trotz gleicher Diagnose sind die Menschen nun einmal verschieden und brauchen auch unterschiedliche Hilfestellungen. Die Oberbergkliniken bieten sowohl die Möglichkeit einer kurzen Krisenintervention als auch mehrwöchige Behandlungen an. Eine intensive Therapie, in der nicht nur an der Abhängigkeit oder einer anderen psychischen Grunderkrankung, sondern auch an der Persönlichkeit des Patienten gearbeitet wird, dauert in der Regel sechs bis acht Wochen.

Lückenlose Nachbetreuung In Wirklichkeit jedoch ist die Behandlung bei psychischen Erkrankungen wie Abhängigkeit, Depressionen oder Burnout weder in sechs noch in acht Wochen ganz abgeschlossen; der Patient muss sich auf einen langfristigen Entwicklungsprozess einstellen, der sich über mindestens ein bis zwei Jahre erstreckt. Denn gerade bei diesen Krankheiten ist die Rückfallgefahr sehr hoch. Und deshalb


lassen die Oberbergkliniken ihre Patienten auch nach der Akuttherapie nicht allein: Nun beginnt der ambulante Teil der Behandlung. Dazu haben die Kliniken ein weit verzweigtes Netz von Korrespondenzpsychotherapeuten aufgebaut, die alle nach der Oberbergmethode arbeiten und die weitere Behandlung des Patienten an seinem Heimatort ohne Wartezeit übernehmen können. Ferner werden die Patienten dazu motiviert, sich Selbsthilfegruppen anzuschließen. Neben den „Anonymen Alkoholikern“ bieten sich hierzu vor allem die OberbergSelbsthilfegruppen an, die aus ehemaligen Patienten der Kliniken bestehen und von denen es bundesweit zurzeit rund 60 gibt. Sie werden nach der Entlassung aus der Klinik zu einer Art „seelischer Familie“ für die Patienten, wo sie Erfahrungen austauschen und offen über ihre Probleme und Emotionen reden können. „Wichtig für den Übergang in den Alltag ist auch eine rechtzeitige Einbeziehung der Angehörigen und des sozialen Umfelds“, erklärt Prof. Mundle. „Daher führen wir schon während der stationären Therapie Angehörigen- und Paargespräche durch.“ Und da der Patientenzustrom immer mehr wächst, gibt es zusätzlich zu den drei Oberbergkliniken mittlerweile auch noch zwei City-Standorte in München und Berlin, die eine intensive vor- und nachstationäre Behandlung anbieten. Bei Bedarf bieten die Kliniken als Fortsetzung und Ergänzung der stationären Erstbehandlung eine zweite – in der Regel kürzere – Intervalltherapie an, um die Erfolge der ersten Behandlungsphase zu festigen und zu erweitern. Sie wird bereits zum Zeitpunkt der Entlassung fest verab-

Literatur Büssing A, Matthiessen PF, Mundle G. (2007) Emotional and rational disease acceptance in patients with depression and drug abuse – Evaluation of a new instrument in quality of life research. In: Willigis Jäger, Paul Kohtes (hrsg.): zen@work. Manager und Meditation, Spiritualität in der psychosomatischen Medizin, ein Übungsweg für alle Beteiligten. Bielefeld: Kamphausen 2009; 13–149 Gottschaldt M, Gottschaldt E. Von der Suchtmedizin zur integralen Heilkunst. Potsdam 2009 Gottschaldt E. Seelische Gesundheit im Gesundheitswesen. Symposium 2008, Edition Oberberg Stiftung. Potsdam 2009 Gottschaldt E, Mundle G. Seelische Gesundheit – Ein neuer Themenschwerpunkt der Deutschen Suchtstiftung Matthias Gottschaldt. Psychoneuro 2008; 34(5): 266–67 Johann M, Koenig S, Lange K, Wodarz N. Bindungsstile und Alkoholabhängigkeit: Einfluss unsicherer Bindungsstile auf Phänoty-

redet und findet meist vier bis sechs Monate nach dem ersten stationären Aufenthalt statt. „Und natürlich garantieren wir unseren Patienten bei einem Rückfall oder sonstigen posttherapeutischen Problemen eine sofortige Wiederaufnahme“, erklärt Edda Gottschaldt. „Wenn jemand spürt, dass sich ein Rückfall ankündigt, nimmt er zwei Wochen Urlaub und kommt zu uns in die Klinik. Diese Gewissheit, dass sie jederzeit zu uns kommen können, ist sehr wichtig für unsere Patienten.“

Wiedereingliederung ins Berufsleben Für Ärzte, die aufgrund ihrer Abhängigkeitserkrankung berufliche Konsequenzen fürchten müssen, bieten die Kliniken spezifische poststationäre Programme (Curricula) zur beruflichen Wiedereingliederung an, die sie gemeinsam mit einzelnen Ärztekammern entwickelt haben und die von vielen aufsichtsführenden Stellen akzeptiert werden: Nach einer erfolgreich abgeschlossenen stationären Behandlung in einer Oberbergklinik nehmen die Patienten an einem einjährigen ambulanten Nachsorgekonzept teil, das aus einer wöchentlichen ambulanten Suchttherapie, dem regelmäßigen Besuch von Selbsthilfegruppen und monatlichen Nachsorgeuntersuchungen zur Dokumentation des Krankheitsverlaufs besteht. Ein Jahr nach Beginn des Programms wird eine Abschlussuntersuchung durchgeführt und das Ergebnis in einem Gutachten festgehalten. Ist die Untersuchung positiv verlaufen, so empfehlen die Ärzte der Oberbergkliniken den aufsichtsführenden Stellen und anderen Disziplinarinstanzen, die Akten zu schließen.

pen der Alkoholabhängigkeit unter Berücksichtigung eines ADHS. Nervenarzt (im Druck) Johann M, Lange K, König S, Laufkötter R, Unblaub W, Wodarz N. Wege des Zappelphilipps: Zur Komorbidität von Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) und Substanzstörungen, Abhängigkeiten. Vol. 1 2006; 35–45 Küfner H, Johann M. Therapiemanuale zur Behandlung von Suchtpatienten. Psychotherapie in Psychiatrie, Psychotherapeutischer Medizin und Klinischer Psychologie. CIP_Medien 2004; 54–65

Matthias Gottschaldt. Psychoneuro 2007; 33(1–2): 3 Mundle G, Gottschaldt E. Deutsche Suchtstiftung Matthias Gottschaldt. Hilfsangebote für suchtkranke Ärzte. Spezifische Behandlungsmaßnahmen ermöglichen eine erfolgreiche Behandlung. Psychoneuro 2007; 33(1–2): 13–18 Mundle G, Jurkat HB, Reimer C, Beelmann K, Kaufmann M, Cimander KF. Suchttherapie bei abhängigen Ärzten (Strategien der Prävention und Therapie). Psychotherapeut 2007; (52): 273–279 Mundle G. Jeder fünfte Arzt ist ausgebrannt. Ärztliche Praxis 2006; (38): 5

Mundle G, Gottschaldt E. Abhängigkeitserkrankungen bei Ärztinnen und Ärzten – Spezifische Behandlungsangebote ermöglichen eine erfolgreiche Therapie. Dtsch Med Wochenschr 2008; 133: 17–20

Mundle G. Suchttherapie bei Ärzten. Das Interventionsprogramm der Ärztekammer Hamburg. MedReview 2006; (2): 8–9

Mundle G, Gottschaldt E. Emotionale Krankheitsakzeptanz – ein Weg zur seelischen Gesundheit. Prävention 02/2008; 54–56

Treutlein J, Cichon S, Ridinger M. Genomewide association study of alcohol dependence. Arch Gen Psychiatry (im Druck)

Mundle G. Ärztegesundheit. Eine zentrale Aufgabe der Deutschen Suchtstiftung

Kardioforum 1 | 2010

61


Somnologische Notizen Gesundheitspolitik aktuell Die Kostendruckdiskussion im Gesundheitswesen hat verschiedene gesundheitspolitische Schlagworte hervorgebracht. Aktuell finden die Begriffe „Priorisierung“ und „Rationierung“ immer häufiger Verwendung. Priorisierung bedeutet, dass eine Rangfolge der medizinischen Leistungen festgelegt wird. Sie hilft zu entscheiden, welche Leistung in welchem Fall erbracht werden soll. Rationierung von Leistungen bedeutet, dass eine feste Anzahl von medizinischen Leistungen für die Versicherten vorgegeben wird. Fraglich ist, wie diese Wege Einzug in das deutsche Gesundheitssystem finden sollen, wenn bereits im Artikel 74 des Grundgesetzes die Weichen für eine umfassende Versorgung gestellt sind. Starke Einschnitte in den Sozialleistungen könnten durchaus vor dem Verfassungsgericht enden wie jüngst Hartz IV. Die Politik ist gefordert, Entscheidungen zu treffen. Jede Legislaturperiode ist bisher mit einem Kostendämpfungsgesetz gestartet. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte eigentlich andere Pläne, muss es seinen Vorgängern aber gleichtun. Neben der Kostendämpfung hatten diese Gesetze relativ wenig für die Verbesserung der Versorgungsstrukturen vorgesehen. Mit den Reformgesetzen aus den Jahren 2000 und 2004 sind aber gute Signale im Rahmen von Einzelvertragsmöglichkeiten installiert worden. So genannte Selektivverträge sind möglich, um unter anderem echte Versorgungsalternativen auf Herz und Nieren zu prüfen. Es sind zwei Vertragsarten in der Lage, die bestehenden Richtlinien und Regelversorgungswege zu durchbrechen. Gera-

62

Kardioforum 1 | 2010

de im Bereich der stark reglementierten schlafmedizinischen Versorgung ist eben dies notwendig, jedoch sind keine Verträge mit dem Ziel einer Versorgungsalternative verhandelt worden. Es ist unumgänglich, dass auf irgendeine Weise Kosten eingespart werden müssen. Aktuell zieht sich jedoch nur ein Weg durch die Versorgungslandschaft: Kosteneinsparungen durch Vergütungskürzungen gegenüber allen Leistungserbringern. Aus Sicht der Politik vermutlich der effektivste Weg für eine kurzfristige Verbesserung der finanziellen Situation. Nachhaltig erscheint dies nicht. Wirtschaftliche Effizienzen könnten u.a. aus den seit 1998 per Gesetz erlassenen versicherungsfremden Leistungen gewonnen werden. Eine Studie des Fritz Beske Instituts (Kiel, 2008) zeigt, dass bis zu 48 Mrd. € jährlich allein für diese Zwecke ausgegeben werden. So könnte prinzipiell ein Überdenken der Leistungsausgaben aus der Gesetzgebung heraus Kosten dämpfen. Anstatt alte Entscheidungen zu prüfen, debattiert man heute in der Politik über neue Finanzierungswege wie die Gesundheitsprämie und den Staatszuschuss. Darüber hinaus sollen alle Einkommensarten in der Finanzierung der Gesundheitskosten berücksichtigt werden. Auch die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Familienversicherung stehen in der Diskussion. Vor allem in diesem Punkt könnte die Frage aufkommen, warum stärkere Einkommensgruppen unter diesen Voraussetzungen noch in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bleiben sollten. Wird die private Versicherung günstiger als die GKV und müssen zusätzlich noch alle Famili-

enmitglieder gesondert versichert werden, bleibt die Zahl der aktuell gesetzlich Versicherten in den privaten Sektor offen. Das Ausmaß des finanziellen Ausfalls für die GKV durch solche Regelungen ist kaum schätzbar. Als Gegenmaßnahme in diesem Szenario bleiben noch Steuererhöhungen, um die Finanzierung der medizinischen Leistungen zu gewährleisten. Diese sind jedoch nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen. Fest steht, dass unter diesen Entscheidungen keine nachhaltige Verbesserung der Versorgungsstruktur und des Gesamtssystems möglich ist. Nun bleibt abzuwarten, wie sich die Koalition in dieser Legislaturperiode auf dem Gesundheitssektor schlägt. Rouven Schlaghecke

Neue Maske von Weinmann: die Nasal-Pillow 15 Die NP 15 ist die erste NasenpolsterMaske von Weinmann. Und sie ist auch die bisher leiseste auf dem Markt: Die Zahl 15 steht für die Lautstärke von 15 Dezibel. Erholsamer Schlaf braucht Stille. Und das gilt nicht nur für den CPAP-Patienten selbst, sondern auch für seinen Bettpartner. Das direkt am Maskenkörper liegende Kugelgelenk garantiert dem Patienten ausreichend Bewegungsfreiheit. Die Schlauchführung lässt sich in jede Richtung verändern; dies wird durch die verschiedenen Fixierungsmöglichkeiten unterstützt. Durch das Kugelgelenk lässt sich der Maskenschlauch frei führen. Den Schlauch kann man oben oder seitlich an der Bänderung mithilfe von Klettverschlüssen befestigen. Auch vorne lässt er sich durch einen Clip fixieren.


Damit bei einer Richtungsänderung des Schlauchs der Strom der ausgeatmeten Luft nicht nach oben wegdriftet und so das Gesicht des Patienten trifft, wurde eine Kante eingebaut, die den Luftstrom nochmals ablenkt, sodass dieser diffus nach vorne und zur Seite abströmt. Der Atemflow wird über den Abströmspalt geführt, der hinten geschlossen ist, damit keine Ausatemluft in Richtung Oberlippe und Mund des Patienten strömt. Eine Maske liegt immer eng auf dem Gesicht auf. Allergische Reaktionen sind deshalb oft ein großes Problem, das die Therapie nachteilig beeinflusst. Für eine exzellente Hautverträglichkeit hat Weinmann ein allergiefreundliches Silikonmaterial verwendet. Weiter – auch dies trägt zum Tragekomfort der Maske bei – verläuft die Bänderung oberhalb der Ohren, und so kann man die Maske praktisch wie eine Mütze aufsetzen. Auf dem Kopf verläuft eine Querverbindung, damit die Maske wirklich fest sitzt und in der Nacht nicht verrutschen kann. Diese Verbindung lässt sich ganz einfach durch einen Klettverschluss individuell dem Kopf des jeweiligen Patienten anpassen. Angenehm zu tragen sind ebenfalls die beweglichen Nasenpolster, Pillows genannt. Sie haben eine Pilzform, um sich optimal an die Größen unterschiedlicher Nasenlöcher anzupassen. Zudem kann man die Pillows nach Bedarf auch einzeln hin und her bewegen. Der Maske werden die drei möglichen Pillow-Größen S, M und L beigefügt. Weinmann war eine einfache Bedienung und Reinigung der Geräte immer ein Anliegen. So lässt sich auch die NP 15 besonders leicht reinigen. Die Maske besteht insgesamt

aus nur vier Teilen, die man unkompliziert auseinandernehmen und ebenso einfach wieder zusammensetzen kann. Man steht also nicht plötzlich vor dem Problem, wie man die Einzelteile wieder zu einem Ganzen fügt. Nicht jeder Patient ist nämlich in solchen technischen Belangen bewandert. Das Weinmann-Team hat alle Eventualitäten bedacht. Eine narrensichere Handhabung garantieren auch die Farben der Kopfbänderung: Die Farbe der außen liegenden Bänderung ist hellblau, die innen liegende dunkelblau. So weiß man nach dem Waschen, was nach außen und was nach innen gehört. Mit derselben Sorgfalt wurde auch die Stirnstütze konstruiert, die die Maske stabilisiert und für einen angenehmen Sitz auf dem Kopf sorgt. Diese Stirnstütze lässt sich in eine von sieben Positionen, die mit den Zahlen 1 bis 7 markiert sind, dergestalt einrasten, dass die Maske dicht, jedoch nicht zu fest auf dem Gesicht sitzt. Leicht kann man sich seine optimale Position als Ziffer merken. Auf dem Markt ist die Maske seit Mitte April dieses Jahres. Ihre Entwicklung dauerte gute zweieinhalb Jahre. Diese Zeit war vollgepackt mit intensiver Forschung, Wettbewerbsanalysen und ausführlichen Patiententests. „Die Idee für die NP 15 entstand daraus,“ so Produktmanagerin Tanja Derlien, „dass wir auch Zielgruppen bedienen wollten, die wir bis jetzt teilweise noch nicht erreichen konnten, wie z. B. Patienten, die klaustrophobisch reagieren und deshalb so wenig wie möglich auf dem Gesicht tragen mögen, oder Patienten mit Passformproblemen.“ Auch an Betroffene in anderen Ländern wurde

gedacht. Die Maske kann von allen ethnischen Gruppen getragen werden, denn die Pillows sind so anpassungsfähig, dass sie sich wirklich jeder Nasen- und Nasenlochform anpassen. Red.

Ein CPAP-Gerät, das auch durch sein Design besticht Neue CPAP-Geräte tauchen regelmäßig auf dem Markt auf. Irgendwie warten sie alle mit technischen Verbesserungen, mit noch raffinierteren Algorithmen auf. Zum ersten Mal wird jetzt ein CPAP-Gerät vorgestellt, das sich durch sein Design von bisherigen Geräten deutlich abhebt und – ungewöhnlich in der Medizinsparte – gleich mit einem internationalen Designpreis punktet: Mit der S9 Serie wird zum ersten Mal ein CPAPbzw. APAP-Gerät mit dem renommierten Designpreis „reddot design award“ geadelt. Anfang Juli wird die S9 Serie in Essen aufs Siegertreppchen gestellt und mit der begehrten Trophäe ausgezeichnet. Dass das S9 eher einem DVDPlayer gleichsieht, mag manchem Patienten die Scheu davor nehmen, das Gerät neben sich auf dem Nachttisch zu platzieren. Wenn dies auch ein auf den ersten Blick recht äußerlicher Aspekt ist, für die Compliance manches Betroffenen ist er vielleicht gar nicht so unbedeutend. Geräte im deutlich medizinischen Look lassen den Patienten halt doch ständig daran denken, dass er krank ist. Vor allem stört dies oft – was im Gespräch mit dem betreuenden Arzt gar nicht so recht artikuliert wird – den Bettnachbarn, meist die Bettgefährtin, und das führt oft zu folgenreichen Disharmonien. Viele CPAP-Patienten schämen sich für ihre Therapie. Sie

Kardioforum 1 | 2010

63


Somnologische Notizen verstecken das Gerät in der Schublade. Die Kinder dürfen es nicht sehen. Die Menschen wollen einfach nicht das Gefühl haben, krank zu sein. „Wenn mir das Gerät gefällt“, so Marketingleiterin Heike Thiele von ResMed, „wenn ich es sympathisch finde, dann lasse ich mich wahrscheinlich auch leichter auf die Therapie ein.“ Doch natürlich ist das Design nur eine Äußerlichkeit, eine interessante zwar und auch eine psychologisch hilfreiche; doch entscheidend ist die technische Leistungsfähigkeit. Und da verspricht das S9 einiges.Nehmen wir die Lautstärke des Geräts. Die überwiegende Mehrzahl der heutigen Geräte auf dem Markt arbeitet leise. Diese Geräte mögen den Benutzer nicht sonderlich stören, jedoch den Bettpartner. Ein kleines Gehäuse dämpft die Geräusche der Turbine nicht sehr gut, glaubte man bislang. Doch das S9 ist nicht nur ein Leichtgewicht, es ist auch leise. Den Entwicklern ist es gelungen, einen Motor ins Gerät zu bauen, der nur noch minimale Motorgeräusche auf das Schlauchsystem und die Maske überträgt. Temperatur und Feuchtigkeit der vom Patienten eingeatmeten Luft werden von fünf Sensoren registriert und konstant gehalten. Übrigens trägt das Gerät am Schlauchende, also am Lufteintritt der Maske, ebenfalls einen Sensor. Dieser technische Aufwand soll garantieren, dass Druck, Temperatur und Feuchtigkeit der eingeatmeten Luft optimal geregelt werden. Das „Climate Control System“ der S9 Serie sorgt für optimale Temperatur und Feuchtigkeit bis hin zur Maske. Es schützt vor Kondensation im System, ohne den Befeuchtungsgrad

64

Kardioforum 1 | 2010

zu beeinträchtigen, und bietet so größtmöglichen Therapiekomfort. ResMed hat für das Gerät einen neuen Schlauch entwickelt: Der SlimLine-Atemschlauch misst nur noch 15 mm im Durchmesser und hat damit rund 30 % weniger Durchmesser als alle bisherigen Systeme. Das hat zur Folge, dass der Schlauch sehr leicht ist und beim Schlafen als wesentlich angenehmer empfunden wird. ResMed gibt an, dass der erweiterte AutoSet-Algorithmus der S9 Serie zwischen obstruktiven und zentralen Schlafapnoen zu unterscheiden weiß und entsprechend reagieren kann. Dies verspricht dem Patienten, die richtige Therapie zu erhalten. Die S9 Serie bietet ferner – auch dies ist heutzutage unter dem Aspekt der Therapietreue und Therapiekontrolle ein nicht zu unterschätzender Vorteil – eine Reihe von DokumentationsFeatures, die zur guten Patientenversorgung beitragen. Die Therapie lässt sich leicht überwachen, sodass mögliche Probleme frühzeitig erkannt und gelöst werden können. Die Informationen werden auf einer SD-Karte gespeichert: Das heißt, dass alle Daten für Compliance und Wirksamkeit der Therapie, inklusive Maskenleckagen, AHI und eine zentrale Apnoe-Statistik, für maximal 365 Nächte aufgezeichnet werden. Red.

„Praxis der Schlafmedizin“ Ein Ratgeber für den ärztlichen Alltag Welch Bedeutung der Schlaf für die Gesundheit hat, tritt immer klarer zutage. Schlafstörungen führen nicht nur zu Müdigkeit und Unkonzentriertheit bei Tage, Fehlern, Ar-

beitsausfällen und Unfällen, sondern können auch Depressionen verursachen und das Herz-KreislaufRisiko erhöhen. Die hohe Prävalenz schlafmedizinischer Erkrankungen und die Vielzahl der Hilfe suchenden Patienten unterstreichen die Bedeutung dieses Fachgebiets. Basiswissen über den Schlaf und seine Störungen sollte zum Grundwissen jedes praktisch tätigen Arztes gehören. Leider wissen viele Ärzte immer noch zu wenig über diese wichtige, freilich noch junge medizinische Disziplin. Das liegt daran, dass schlafmedizinische Inhalte in der akademischen Ausbildung nach wie vor zu wenig berücksichtigt werden und es auch zu wenige interdisziplinär ausgerichtete Lehrbücher gibt. „Praxis der Schlafmedizin“ schließt diese Lücke: Das Buch deckt die gesamte Bandbreite der Schlafmedizin ab – von den physiologischen Grundlagen des Schlafs über eine fundierte Diagnostik bis hin zur ausführlichen Beschreibung der wichtigsten Schlafstörungen und schlafbezogenen Erkrankungen. Viele Praxistipps, Checklisten und Tabellen machen das Buch zu einem gut lesbaren, praxisorientierten, übersichtlichen Begleiter für den Arzt, der sich näher über das Thema Schlaf informieren möchte oder eine Hilfestellung in seiner Praxis sucht. Ein Kapitel zum Thema der gutachterlichen Aspekte bei Schlafstörungen und Hinweise auf wichtige Zeitschriften und Adressen von Fachgesellschaften runden das Informationsangebot ab. Stuck, Maurer, Schredl, Weeß: Praxis der Schlafmedizin. Springer Medizin Verlag Heidelberg, 2009 ISBN 978-3-540-88699-0, 69,95 €


Herausgeber Prof. Dr. med. Michael Block Klinik Augustinum München Wolkerweg 16, 81375 München

Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen

Tel.: 089 7097-1154, Fax: 089 7097-1882

Georgstr. 11, 32545 Bad Oeynhausen

www.augustinum-kliniken.de

Tel.: 05731 97-1276, Fax: 05731 97-1286

block@med.augustinum.de

www.hdz-nrw.de, hkoch@hdz-nrw.de Call Center der Kardiologischen Klinik: Tel.: 05731 97-1100, Fax: 05731 97-1110, kardiocall@hdz-nrw.de

Prof. Dr. med. Johannes Brachmann Klinikum Coburg Tel.: 09561 22-6348, Fax: 09561 22-6349

Prof. Dr. med. Matthias Leschke Klinikum Esslingen a. N.

www.klinikum-coburg.de

Hirschlandstr. 97, 73730 Esslingen a. N.

johannes.brachmann@klinikum-coburg.de

Tel.: 0711 3103-2401, Fax: 0711 3103-2405

Ketschendorfer Str. 33, 96450 Coburg

www.klinikum-esslingen.de m.leschke@klinikum-esslingen.de

Prof. Dr. med. Thomas Budde Alfried Krupp Krankenhaus, Essen Alfried-Krupp-Str. 21, 45131 Essen-Rüttenscheid Tel.: 0201 434-2524, Fax: 0201 434-2376 www.krupp-krankenhaus.de innere@krupp-krankenhaus.de

Prof. Dr. Wolfgang Motz Klinikum Karlsburg Herz- und Diabeteszentrum Mecklenburg-Vorpommern Greifswalder Str. 11, 17495 Karlsburg Tel.: 038355 70-1283, Fax: 038355 70-1655 www.drguth.de

Prof. Dr. med. Harald Darius Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin

prof.motz@drguth.de

Rudower Str. 48, 12351 Berlin www.vivantes.de

Prof. Dr. med. Michael Oeff Städt. Klinikum Brandenburg

harald.darius@vivantes.de

Hochstr. 29, 14770 Brandenburg an der Havel

Tel.: 030 13014-2011, Fax: 030 13014-2404

Tel.: 03381 41-1500, Fax: 03381 41-1509 www.klinikum-brandenburg.de, oeff@klinikum-brandenburg.de

Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe Südendstraße 32, 76137 Karlsruhe Tel.: 0721 8108-3168, Fax: 0721 8108-3170 www.vincentius-kliniken.de, prof.gonska@vincentius-ka.de

Prof. Dr. med. Ernst G. Vester Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf Kirchfeldstr. 40, 40217 Düsseldorf Tel.: 0211 919-1855, Fax: 0211 919-3955 www.evk-duesseldorf.de

Prof. Dr. med. Dietrich Gulba Krankenhaus Düren Roonstr. 30, 52351 Düren Tel.: 02421 30-1310, Fax: 02421 37827 www.krankenhaus-dueren.de, Innere1@Krankenhaus-Dueren.de

kardiologie@evk-duesseldorf.de


Mehr. Für Sie.

Design und intuitive Funk tion Die neue S9™ Serie ist der beste Beweis für die perfekte Verbindung von technischem Fortschritt und modernem Design. Für ResMed ist Design nicht nur eine hübsche Hülle um ein ausgefeiltes Technikgerüst, sondern ein integraler Bestandteil des Ganzen. Design verdient erst dann wirklich Anerkennung, wenn es nicht nur gut aussieht, sondern auch technisch innovativ, durchdacht und vor allem auch benutzerfreundlich ist. Die S9 Serie von ResMed wurde als erstes Atemtherapiesystem weltweit mit dem red dot design award 2010 ausgezeichnet.

www.S9morecomfort.com ResMed GmbH & Co. KG · Fraunhoferstraße 16 · 82152 Martinsried · DEUTSCHLAND · Tel 089 9901-00 · Fax 089 9901-1055 · E-Mail reception@resmed.de

Medizin · Technologie · Management

www.resmed.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.